Gérards Heirat
griff Gérard plötzlich in die Zügel, hielt den Wagen an, sprang heraus und sagte zudem Diener: »Du fährst nach der Meierei weiter! ich habe in Juvigny zu thun und gehe zurück!«
»Herr Gérard,« rief der erschrockene Baptist, »das kann nicht geschehen! ... Sie werden daran schuld sein, wenn der Herr Baron mich fortjagt.«
»Mein Vater wird nichts davon erfahren, und ich verspreche dir, vor Mitternacht in der Meierei zu sein ... Geh!« rief der junge Mann gebieterisch.
Darauf drehte er sich auf dem Absatz um und vertiefte sich in den Wald, wahrend der väterliche Wagen traurig in der Richtung nach Groß-Allard weiterfuhr. Er verlangte danach, Helene zu sehen, um ihr so gut wie möglich die Ereignisse des Tages mitzuteilen und sie zu versichern, daß nichts imstande sein werde, sein Herz umzustimmen. Er irrte im Dickicht umher, bis der Abend einbrach; als die Dämmerung die Weinberge Juvignys in Dunkel gehüllt hatte, ging er in der Richtung nach Polval hinunter und gelangte durch die Weinberge zu Laheyrards. Ein Licht glänzte durch die Fensterscheiben im Erdgeschoß und flößte ihm wieder Mut ein; dann schlüpfte er verstohlen hinter die Hecke.
Im Atelier, in der Nähe der Lampe, deren schlichter Lichtschirm ihre geröteten Augen und ihr trauriges Antlitz beschattete, saß Helene, die Hände in den Haaren, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. Sie war nicht allein; Frau Laheyrard ging im Zimmer auf und ab; ihre lebhaften Bewegungen und der gereizte Ton ihrer Worte deuteten an, daß ihre Nerven durch irgend eine unangenehme Begebenheit sehr erregt worden waren. »Kann man so etwas begreifen?« zürnte sie. »Und mir dies durch den Abbé Volland sagen zu lassen! Als ob ich meine Tochter nicht zu hüten wüßte! Ach, diese dummen Menschen und dieses niederträchtige Nest!«
Mittlerweile erschien Gérard in der Umrahmung der offen gebliebenen Gartenthüre. Helene erstickte einen Schrei der Ueberraschung, während sich die Entrüstung Frau Lahenrards verdoppelte. Mit erkünstelter Würde trat sie auf denjungen Mann zu, der verlegen seine Entschuldigungen stammelte, und sagte: »Herr von Seigneulles, wenn Sie mich künftig besuchen wollen, so werden Sie die Güte haben, wie alle anderen Leute auch durch die Hausthüre zu kommen; es wird aber am besten sein, Sie machen mir das Vergnügen, überhaupt nicht mehr zu kommen. Ich verlange wirklich nicht danach, von Ihrem Vater noch einmal die Beschuldigung zu hören, daß ich Sie in mein Haus gelockt hatte ... Ich freue mich übrigens, Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen zu können, daß man in Ihrer Familie denn doch ein bißchen zu eingebildet ist. Woher hat denn Ihr Herr Vater erfahren, daß ich mich Ihrer bemächtigen wolle? Mag er seinen Sohn bewachen, ich werde meine Tochter zu behüten missen. Ich verbiete Helenen, Sie künftig zu empfangen.«
Nachdem er vergeblich versucht hatte, diesen Redestrom zu unterbrechen, öffnete er schon den Mund, um zu antworten; da blickte ihn Helene so bittend und zärtlich an und winkte ihm, er solle sich entfernen. Gérard antwortete auf diesen Befehl mit einem leidenschaftlichen Blick und das war alles. Er verbeugte sich schweigend und stieg die Stufen der Freitreppe hinab, mährend Frau Laheyrard die Glasthüre geräuschvoll hinter ihm schloß.
Zwölftes Kapitel.
Betäubt wie ein Mann, der eben einen heftigen Schlag auf den Schädel erhalten hat, verfolgte Gérard den Hauptweg des Gartens. Er war noch nicht fähig, seine Gedanken zu sammeln, und hatte nur die dumpfe Empfindung eines großen Unglücks. An der Weinbergthüre angekommen, sog er noch einmal den Duft der Reseden und Rosen ein, die auf den Blumenbeeten des geliebten Mädchens blühten, dann stieg er langsam durch die Rebgelände hinab und erklommden gegenüberliegenden Abhang. Als er den Gipfel des Hügels erreicht hatte, lehnte er sich an einen mit Moos überzogenen Steinhaufen und blickte düster hinab auf die alten Häuser der oberen Stadt. Dort in der Ferne schimmerte das Licht aus Helenens Atelier wie ein trauriger Abschiedsblick herüber.
Gérards Kehle schnürte sich zusammen, seine Augen wurden feucht und ein Schluchzen kam über seine Lippen. Dies war sein erster großer Schmerz. Im Vergleich zu diesem unvorhergesehenen Unglück erschienen ihm die Kümmernisse seiner Schuljahre, die Sorgen seiner einsamen Jugend wie kleine Nadelstiche.
Es schlug zehn Uhr. Er erinnerte sich des Versprechens, das er Baptist gegeben hatte, und eilte in den Wald hinein.
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