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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Theuriet
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durch Schaden klug und vorsichtig geworden und trotz seiner Schwatzhaftigkeit schwieg er während der ganzen Operation. Herr von Seigneulles brach zuerst das Schweigen und sagte: »Nun, Magdelinat, was gibt's Neues?«
    »Nichts, Herr Baron, absolut nichts.«
    »Hm!... Für einen Mann Ihres Zeichens sind Sie nicht sehr auf dem Laufenden... Wissen Sie denn nicht, daß unsere Nachbarin, Fräulein Laheyrard, die Stadt verlassen hat?«
    »Verzeihung,« antwortete der Barbier, »ich wußte es wohl, allein ich fürchtete, Sie mit solchen Klatschereien zu langweilen.«
    »Das ist keine Klatscherei, es ist eine Thatsache,« fuhr Herr von Seigneulles unschuldig fort.
    Magdelinat betrachtete ihn verblüfft. Durch die gleichgültige Miene seines Kunden getäuscht, glaubte er, der Chevalier wisse von dem Abenteuer seines Sohnes und kümmere sichweiter nichts darum. Deshalb fuhr er mit seiner süßlichsten Miene fort:
    »Ja, die Thatsache unterliegt keinem Zweifel ... unglücklicherweise; aber Sie wissen es ja, es wird immer alles übertrieben und man muß nie mehr als den achten Teil von dem glauben, was erzählt wird.«
    Herr von Seigneulles sprang auf: »Und was, zum Henker, erzählt man denn?« schrie er und durchbohrte den zurückfahrenden Barbier mit seinen grauen Augen. – Dieser Unglückliche begriff, daß er eine Dummheit gemacht hatte, und versuchte, wieder einzulenken. – »Dummheiten,« sagte er und nahm eine zwanglose Miene an, »die Welt ist so schlecht! Ich meinesteils möchte wetten, daß nichts an der Sache ist als ein bißchen Leichtsinn, und daß Herr Gérard nicht schuld ist...«
    »Gérard!... Alle Wetter, was soll denn mein Sohn nun wieder mit dieser lächerlichen Geschichte zu thun haben?«
    Der Chevalier hatte sich wütend erhoben und mit einer zornigen Bewegung Magdelinat in eine Ecke der Küche gedrängt. Der Friseur war weißer als sein Handtuch und versuchte sich zu befreien, wobei er der Thüre verzweifelte Blicke zuwarf.
    »Habe ich Herrn Gérard genannt?« stöhnte er, »ich werde mich versprochen haben. Weiß man denn je in solchen Fällen, wer der Vater ist?«
    »Der Vater?«
    Herr von Seigneulles faßte den unglücklichen Magdelinat an der Halsbinde, drückte ihn gegen die Wand und schrie mit vor Aufregung erstickter Stimme: »So, du verdammte Bestie, du weißt mehr als du sagen willst! Sofort sprich deutlich und klar, sonst reiße ich dir deine niederträchtige Zunge aus und nagle sie zwischen zwei Eulen an die Thüre meiner Kelter!...«
    »Was soll ich denn sagen?« stotterte Magdelinat halb erwürgt, »ich weiß nur das, was man in der ganzen Stadterzählt: es wird behauptet, die Tochter des Schulrates habe nur allzu gut gewußt, warum sie habe verschwinden müssen, und es gibt Menschen, die schlecht genug sind, vorauszusehen ...«
    »Daß mein Sohn sie ins Unglück gestürzt hat?«
    »Es scheint, daß man dies sagt; aber ich glaube es nicht.«
    »Glauben Sie's oder glauben Sie's nicht!« schrie der Chevalier und zwirbelte Magdelinat im Kreise herum, »bilden Sie sich denn ein, ich kümmere mich um Ihre Meinung?... Packen Sie sich, Herr... Magdelinat, und setzen Sie nie mehr einen Fuß in mein Haus.«
    Der Friseur machte sich schleunigst aus dem Staube; der Chevalier blieb starr wie eine Bildsäule auf der Schwelle stehen. Er war ganz niedergeschmettert. Marie sah ihn an allen Gliedern zitternd an; man hätte eine Stecknadel in der Küche fallen hören. Plötzlich riß sich Herr von Seigneulles den Schlafrock vom Leibe, warf ihn Marien ins Gesicht und sagte mit dumpfer Stimme: »Meinen Rock!«
    Sobald er angezogen war, eilte er zu Abbé Volland, den er einem regelrechten Verhör unterwarf. Der Geistliche wußte, daß Helene in Paris, in einer Pension in der Rue de Vaugirard, Zuflucht gesucht habe; er kannte alle die Verleumdungen, die über das junge Mädchen in Umlauf gebracht worden waren und mußte, obgleich er sie nicht für schuldig hielt, seufzend zugeben, daß das arme Kind den Schein gegen sich habe. Dies war weit davon entfernt, den Chevalier zu beruhigen; er blieb eine Stunde mit dem Abbé eingeschlossen und kaum hatte er das Pfarrhaus verlassen, als an einer Biegung der Straße auch Gérard staubbedeckt erschien.
    Der junge Mann sah hohläugig und abgespannt aus und schien sehr beunruhigt zu sein. Vier tödlich lange Tage hatte er in Groß-Allard auf den versprochenen Brief Helenens gewartet. Er schlief nicht mehr, fand nirgends Ruhe und lief jeden Tag verzweifelt bis an die Grenze

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