Geraubte Erinnerung
Bewusstsein, das über eine so unglaubliche Macht verfügt, weit genug über seine angeborenen Instinkte hinaus entwickeln, um friedlich im beschränkten Raum unserer Welt zu koexistieren?
Ich bin nicht so optimistisch. Doch vielleicht empfinden die Trinitys unsere Welt nicht als so beschränkt. Die Ressourcen an Wissen zumindest sind theoretisch unbeschränkt. Vielleicht kann Trinity tatsächlich allen Kriegen ein Ende setzen.
Ich überlasse diese Sorgen jetzt anderen.
Wenn die Leute mich fragen, ob meine Träume – oder Halluzinationen – real waren, antworte ich: Ich weiß es nicht mit Sicherheit, doch ich finde an den verschiedensten Orten Hinweise. Einer der deutlichsten stammt von einer vollkommen unerwarteten Seite.
Während der vergangenen drei Monate – während ich diese Erzählung meiner Erlebnisse niedergeschrieben habe – hat der Trinity-Computer die Konstruktion eines zweiten Trinity-Prototypen für Forschungszwecke angeleitet. Er steht nun unmittelbar neben seinem Vorgänger im Prototyp-Komplex in White Sands, isoliert von der Außenwelt und dennoch eine perfekt funktionierende eigenständige Entität.
Als ich von der Entwicklung dieser Maschine erfuhr, schrieb ich Trinity eine Mail. In diesem Brief wies ich darauf hin, dass niemand die Erfahrung des Trinity-Zustands mehr verdient hätteals Andrew Fielding, der Mann, der Trinity überhaupt erst möglich gemacht hatte.
Trinity war mir weit voraus.
Vergangene Woche marschierte ich durch einen Kordon von Soldaten und betrat den Prototyp-Komplex, wo ich zwei Kugeln aus Karbon fand, wo vorher nur eine gestanden hatte. Ich hatte diesen Tag gefürchtet und mich zugleich darauf gefreut. Gefürchtet, weil der Andrew Fielding, dem ich begegnen würde, keine Erinnerung an Ereignisse besaß, die nach seinem MRI-Scan stattgefunden hatten, und der Scan lag sechs Monate zurück. Das bedeutete, dass ich die einzigartig bestürzende Erfahrung machen würde, einen Mann darüber in Kenntnis zu setzen, dass er ermordet worden war. Und doch sagten mir mein Gefühl und meine Erinnerung, dass Andrew diesen Schock besser überstehen würde als die meisten anderen Menschen.
Ich hatte mich nicht geirrt. Fielding erinnerte mich, dass er in regelmäßigen Abständen im Trinity-Computer zu neuem digitalem Leben erwachen würde, und er spekulierte sogar, dass man eines Tages – vielleicht in hundert Jahren – den Umkehrprozess perfektioniert haben würde: Ein gespeichertes Neuromodell könnte dann in ein biologisches Gehirn zurückgespielt werden, in so genannte Wetware.
Doch was Fieldings geistiger Gesundheit am meisten weiterhalf, war die Nachricht, dass er die Liebe seines Lebens aus China gebracht und in den Vereinigten Staaten geheiratet hatte. Sein Neuromodell erinnerte sich nur an die vergeblichen Bemühungen und die Sehnsucht nach Lu Li, von der es noch immer glaubte, dass sie in Beijing festsaß. Ich erzählte Andrew die Geschichte von Lu Lis Flucht aus den Fängen von Geli Bauers Überwachungsteams, die zwar nicht so dramatisch wie die meine verlaufen war, dafür jedoch ungleich erfolgreicher. Wenige Stunden, nachdem ich mit Rachel in jener Nacht Lu Lis Haus verlassen hatte, war sie mit ihrem Bichon Frisé aus dem Haus geschlüpft und zu Fuß durch den Wald nach Chapel Hill gegangen. Sie war bei einer chinesischen Familieuntergeschlüpft, die ein Restaurant besaß, in dem sie zusammen mit Andrew häufig gegessen hatte. Diese Familie hatte Lu Li versteckt, bis die Ereignisse im Umfeld um Trinity aufgeklärt worden waren.
Als ich Fielding berichtete, dass ich Lu Li aus North Carolina mitgebracht hätte und dass sie draußen wartete, bat er mich, ihm ein paar Minuten Zeit zu lassen, damit er sich sammeln konnte, bevor sie vor die Kamera trat.
Mit Peter Godins Neuromodell zu reden war gewesen, als würde man mit einer Maschine sprechen – andererseits war es nicht viel anders gewesen, sich mit Godin, dem Menschen aus Fleisch und Blut, zu unterhalten. Andrew Fielding hingegen war zu Lebzeiten ein exzentrischer Charakter gewesen, bekannt für seinen Witz und seine Leidenschaft. Selbst in der synthetisierten Stimme seines Neuromodells erkannte ich noch den Mann wieder, der ein Poster vom Newcastle Club aufbewahrt hatte, wo er im Jahre 1967 Jimi Hendrix hatte spielen sehen.
Während Fielding sich sammelte, berichtete ich ihm über das Schicksal jener Menschen, mit denen wir gemeinsam an Trinity gearbeitet hatten. Zach Levin war in der Tür zum Prototyp-Komplex
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