Geraubte Herzen
jetzt.
»Möchten Sie noch ein Glas Wein?«
»Nicht, wenn ich Physik lernen muss. Und Sie können auch keinen mehr trinken, Sie müssen am Computer arbeiten.«
»Ich hasse Computer«, erklärte er mit Nachdruck.
Sie stellte mit dem gleichen Nachdruck fest: »Sie benehmen sich wie jemand, der nie etwas tun musste, was er nicht tun wollte.«
»Selten.« Am besten, er sagte nichts weiter. Auch er hatte ein Geheimnis zu wahren - auch wenn das bei diesem unbedarften Kind leichter war als erwartet.
Er stellte die Teller aufeinander, aber auf dem unteren Teller lag noch das Tafelsilber, und der Stapel wackelte gefährlich.
»In so was sind Sie gar nicht gut.« Sie zog das Besteck heraus, damit die Teller flach standen. »Hier. Bringen Sie das zur Spüle. Ich nehme die Gläser.«
Er legte die Hand auf ihre Schulter und drückte sie auf den Stuhl zurück. »Ich habe Sie zum Essen eingeladen. Ich räume auf.« Er dachte daran, die Gläser auf die Teller zu legen, aber da konnten sie leicht herunterrollen und auf dem italienischen Fliesenboden zerspringen. Er ließ die Gläser auf dem Tisch stehen.
Sie sah ihm zu, wie er sich mit der ungewohnten Aufgabe abmühte. »Sie haben wohl, bevor Sie Butler wurden, nicht gerade als Küchenhilfe gearbeitet?«
»Nein. Aus der Wiege direkt auf die Butler-Schule und dann hierher.« Er beschrieb Griswald, so weit ihm dessen Werdegang bekannt war.
Er kehrte zurück, um die Kuchenteller zu holen.
»Die Reste sollten Sie in den Kühlschrank stellen«, sagte sie.
»Ja …« Und vermutlich auch irgendwie einpacken, oder? Verunsichert betrat er die Speisekammer.
»Die Folie ist hier draußen«, rief sie. »In einer der Schubladen. Ich hab sie gesehen, als ich letztes Mal nach dem Besteck gesucht habe.«
Er kam zurück und sah sie eine lange gelbe Schachtel in der Hand halten. »Danke.« Das Problem war, dass er seit Jahren nichts mehr in der Küche gemacht hatte, und in dieser hier ohnehin nicht. »Mr. Givens hat in diesen Dingen
mehr Erfahrung als ich. Als er vierzehn war, war er einmal in einem Pfadfinder-Camp in Montana.« Er erzählte ihr mit voller Absicht von sich selbst, während er die Tortenreste einwickelte und forträumte. »Es gab eine Namensverwechslung, und keiner wusste, wer er in Wirklichkeit war.«
»Ich nehme an, er hat das auf der Stelle aufgeklärt.«
»Nein. Also, anfangs hat er es versucht, aber er hat ziemlich schnell herausgefunden, dass in Montana keiner von Givens Enterprises gehört hatte, sodass es eh egal war.« Er brachte die Teller ohne Zwischenfall zur Spüle und ging die Gläser holen. »Das war ein toller Sommer. Zum ersten Mal in seinem Leben hat keiner gewusst, wer er war, also hat auch keiner Rücksicht genommen. Er musste eine Meile in einem eiskalten See schwimmen, damit er sein Schwimmabzeichen bekam. Er ist mit dem Kanu von einem Anlegeplatz zum anderen gerudert und hat mit der Axt Brennholz gehackt. Einmal war er bei einer Orientierungsübung mit einem anderen Jungen alleine im Wald - John Bingham, an den Namen kann ich mich noch erinnern. John war ein ungeschickter Junge, und wenn irgendjemandem etwas passierte, dann passierte es John. Er ist in einen Kaninchenbau getreten und hat sich das Bein gebrochen.«
Hope schnappte entsetzt nach Luft.
»Ja«, stimmte Zack ihr zu. »Das war furchtbar. John hatte solche Schmerzen. Mr. Givens musste das Bein erst schienen, bevor er Hilfe holen konnte. Der Leiter des Camps hat gesagt, Mr. Givens hätte seine Sache gut gemacht und ihm eine Auszeichnung verliehen.« Zack hatte die Medaille immer noch oben in der Schmuckschatulle. Dummes Ding. Er hätte es längst wegwerfen sollen, doch er konnte sich nicht überwinden. »Das war der beste Sommer seines Lebens. Er war die ganze Zeit nur einer von vielen
Jungs und hat dabei erfahren, wie kostbar echte Freundschaft ist.« Hope hing an seinen Lippen. »Wenn man reich ist.«
»Sie sind mit Mr. Givens befreundet.«
»Das hört sich so überrascht an.«
»Wenn Sie ihn mögen … dann denke ich auch besser von ihm.« Sie ging mit ihm zur Spüle und machte sich an den Abwasch.
Schön, dass sie das beeindruckt hatte. »Als er wieder in Boston war, wollte er das, was er über Freundschaft gelernt hatte, umsetzen. Mr. Givens war damals noch etwas unerfahren, und er ist voller Pfadfinder-Idealismus aus Montana zurückgekehrt. Wenn du einen Freund willst, sei ein Freund. Es ist nicht die äußere Erscheinung, die zählt, sondern die innere Schönheit. Der ganze
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