Geraubte Herzen
nur auf den Hals starren und seine Arme umklammern.
Er legte die Hand unter ihr Kinn, hob es an, und endlich sah sie ihm ins Gesicht. Sie dachte, er würde lächeln, sich über ihre Scheu amüsieren.
Er tat es nicht. Seine Augen fixierten sie, als suche er nach etwas … nach Gefühlen? Konnte er sie ihr ansehen? Und falls ja, was für welche waren es? Sie wusste es selber nicht.
Ihr Blick heftete sich auf die scharfen, strengen Gesichtszüge, ergötzte sich an der Mischung aus mönchischer Askese und rauchiger Sexualität. Vielleicht wollte er sie wirklich küssen. Vielleicht wollte er sogar noch mehr. Aber er würde sich diszipliniert an eine Gangart halten, der sie folgen konnte. Er würde sie nicht schneller mitziehen, als sie laufen konnte.
Sie ließ sich an ihn sinken, schob die Hände an seinen
Armen hinauf auf die Schultern. »Ich möchte geküsst werden.«
Seine Nasenflügel bebten, und nur eine Sekunde lang - bevor er die Augen schloss - entdeckte sie in seinem Blick eine Skrupellosigkeit, die sie ihre Aufrichtigkeit fast wieder bereuen ließ.
Aber es war nur eine Sekunde. Als seine Lippen die ihren trafen und ihre Augen sich schlossen, war sie überzeugt, sie müsse sich geirrt haben.
Denn er küsste sie so sacht, fand die Kontur ihrer Lippen und liebkoste sie mit jeder Berührung nur leicht. Doch sie war sich seiner völlig bewusst. Ihre Lippen prickelten und kräuselten sich, und sie ertappte sich dabei, wie sie seinem Mund folgte und mehr von dem zu erheischen suchte, was seine zarten Berührungen versprachen.
Er gestattete ihr, mit ihm Schritt zu halten und ihre Lippen auf seine zu pressen. Seine Lippen … sie fühlten sich genauso hinreißend an, wie sie aussahen, und sie leuchteten wie Samt. Die Hitze, die seinen ganzen Körper umgab, floss auch aus seinen Lippen und ließ ihre Münder verschmelzen. Sie dachte - falls man dieses heillose Durcheinander denken nennen konnte -, dass sie auf ewig hier hätte stehen und ihn küssen können.
Aber er offerierte ihr, wie der Teufel selbst, noch andere Verlockungen. Langsam, während der Kuss sie noch in Bann schlug, öffnete er seine Lippen, und sie folgte seinem Beispiel.
Alles fühlte sich so gut an. Ihr Körper sang vor Vergnügen. Irgendwann, während sie sich küssten, schien sie gewachsen zu sein, denn ihre Haut fühlte sich dünn und gespannt an. Ihre Brüste waren voll und straff, und sich an seine Brust zu drücken, war der einzige Weg, den Druck zu entspannen. Ihre Jugend und ihre Lebendigkeit holten sie
ein, sabotierten sie und zogen sie mit der ganzen Macht der brachliegenden Hormone in einen Strudel der Lust. Sie wurde zwischen den Beinen feucht und begriff zum ersten Mal seit langer Zeit, vielleicht zum ersten Mal im Leben, wie herrlich es war, eine Frau zu sein.
Inmitten all des Staunens und des Glücks durchzuckte sie ein Gedanke: Er nahm ihr den Atem und ersetzte ihn durch seinen eigenen; er besaß ihren Körper, wie sie es sich nie hätte ausmalen können.
Sie riss sich mit einem Ruck von ihm los und starrte ihn an.
Er starrte zurück, ruhig und entschlossen. Er fragte nicht, warum sie den Kuss zerriss, er schien es zu wissen.
Er zog sie an sich und küsste sie wieder.
Dieser zweite Kuss zeigte ihr, wie sehr er sich beim ersten Kuss zurückgehalten hatte. Diesmal zeigte er ihr seine Lust, indem er die Zunge in ihren Mund stieß; langsam und unbeirrbar saugte er an ihrer Zunge, sog sie in seinen Mund. Sie widersetzte sich ihm - einen Augenblick lang. So lange, bis er sie gepackt und in seine dunkle Welt der Leidenschaft gezerrt hatte. Sie wusste nicht, wohin er sie brachte, aber mit seinem Mund auf ihrem und umgeben von seinem Körper, fiel die Welt von ihr ab, das Foyer und ganz Boston. Es gab nur noch Griswald und seine seelenverzehrende Begierde.
Als sie zu fiebern begann, als ihr Körper an seinen wogte und die Vorfreude in ihren Venen pochte … zog er sich zurück. Nicht rüde. Nicht abrupt. Sondern wohl überlegt. Erst schloss er die Lippen. Dann, während er sie mit geschlossenen Lippen küsste, lockerte er seinen Griff.
Sie atmete schwer und versuchte, in die reale Welt zurückzukehren, wo die Nächte kalt waren und sie ohne fremde Hilfe überleben musste.
Aber es war schwer zurückzukehren, so nahe bei ihm, während sein Körper mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der er Hitze verströmte, auch Leidenschaft verströmte.
Mit einem sanften Schwung, wie im Tanz, drehte er sie seitwärts, bis sie Hüfte
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