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Geraubte Herzen

Geraubte Herzen

Titel: Geraubte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Dodd
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zu trösten.
    Sie schob ihn fort. »Nein, ich kann nicht … wenn du mich anfasst, bringe ich kein Wort mehr heraus. Also … Ich erzähle es dir ja. Ich will es dir erzählen.«
    Er wollte es wissen. Ja, das wollte er. Aber er hatte sich keine Vorstellung davon gemacht, wie sehr er darunter leiden würde, sie so verzweifelt zu sehen. Er hatte nie zuvor so empfunden. War nie einem Menschen so nah gewesen, dass er den Schmerz des anderen wie seinen eigenen empfand. Er konnte es kaum ertragen, sie so um ihr Gleichgewicht kämpfen zu sehen. Er wollte irgendwen feuern. Jemanden anschreien, bis alles wieder in Ordnung kam. Aber nichts davon würde helfen, also schaute er zu und litt. Als er glaubte, sie könne wieder sprechen, sagte er: »Du warst also ganz allein, wo haben sie dich hingebracht?«
    »Boston. Sie haben mich so weit weggeschickt, wie es nur ging.«
    Hätte man ihn früher gefragt, ob er sich vorstellen könne, wie es sich angefühlt haben musste, aus einer Kleinstadt in ein riesiges Metropolis geschickt zu werden, er hätte verneint. Doch jetzt meinte er, es nachempfinden zu können. Aus der Hitze des Südens in den kalten Norden. Aus einer Familie in … »Warst du in einem Kinderheim?«
    »Einem Waisenhaus.« Die Ausdruckslosigkeit ihrer Augen passte zur Kälte der Nacht da draußen. Sie beobachtete ihn, hielt den Kopf schief, die Worte kamen spärlich und klangen trostlos. »Damals war ich noch so dumm. Ich habe wirklich geglaubt, dass die Menschen gut sind. Das hatten mir meine Eltern erzählt. Als eins der Kinder im Waisenhaus mich gefragt hat, warum ich da sei, habe ich es erzählt. Am Abend haben alle Kinder es gewusst.«
    »Und?«

    »Sie … waren nicht nett.«
    »Verdammt.« Natürlich waren sie nicht nett. Ein fremdes Mädchen, verletzlich und verstört … es gab auf dieser Welt keine grausameren Kreaturen als Heranwachsende, deren Groll ein neues Ziel gefunden hatte.
    »Was sie mich alles geheißen haben … Ich wusste nicht einmal, dass es solche Schimpfwörter gibt. Sie haben mich wegen meines Akzents ausgelacht. Sie haben mich gefragt, ob ich mit meinem Bruder geschlafen hätte. Ich habe jede Nacht geweint. Ich habe geweint, bis meine Stimme heiser war und meine Augen so verschwollen waren, dass ich sie kaum noch aufbekam. Dann haben sie mich ausgelacht, weil ich so komisch ausgesehen habe und meine Stimme so seltsam geklungen hat.«
    »Deshalb … deshalb klingt deine Stimme so? Als hättest du dein ganzes Leben lang geraucht.«
    »Ich habe nie geraucht.«
    »Das glaube ich gern. Gab es in diesem Waisenhaus denn niemanden, der nett zu dir gewesen wäre?«
    »Nein. Sie waren alle furchtbar. Und jeder hat jeden, wo es nur ging, fertig gemacht. In der High School war es auch nicht besser. Die Lehrer hatten schon von mir gehört und haben ihre Schreibtische versperrt, sobald ich nur in der Nähe war.« Sogar jetzt schien Hope deswegen noch verstört zu sein. »Ich war in einer Innenstadtschule. Da war ich eigentlich noch das kleinste Problem. Aber ich war so dumm und so brav. Auf mir herumzuhacken, war so einfach.«
    »Wie lange warst du da?«
    »Drei Jahre. Ich habe den Abschluss gerade so geschafft. Ich hatte all meinen Ehrgeiz verloren. Ich wollte meine Zeit nicht damit verschwenden, gegen ein System zu kämpfen, das sich sowieso gegen mich verschworen hatte.«
Sie machte die Augen zu und legte den Kopf in den Nacken. »Das stimmt nicht ganz. Anfangs habe ich es versucht, aber das ist mir nicht gut bekommen. Ich war in Klassen, da konnten manche nicht einmal lesen, und ich hatte mich schon durch die Encyclopedia Britannica meiner Eltern gearbeitet. Ich hatte immer geglaubt, dass Bildung etwas Gutes ist. Aber dort bedeutete Bildung nichts. Weniger als nichts. Es kam darauf an, wen man kannte und wie hart man zuschlagen konnte. Immer, wenn irgendjemand etwas verloren hatte, egal ob Schüler oder Lehrer, hieß es, ich sei schuld. Sie haben mich verprügelt oder mir eine Strafarbeit aufgebrummt.«
    Er hatte nicht gedacht, dass ihn irgendetwas schockieren konnte, aber jetzt war er schockiert.
    »Ver … prügelt?«
    »Spar dir dein Mitleid«, sagte sie schroff. »Ich hab schnell gelernt, es ihnen zurückzuzahlen.«
    Er betrachtete die Nase mit dem verräterischen Höcker. »Verprügelt.« Er hätte am liebsten auf der Stelle jemanden umgebracht.
    »Ich wollte nur eins, nach dem Abschluss so schnell wie möglich nach Texas zurück. In die weite Welt hinaus, um meine Familie wiederzufinden. Also

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