Geraubte Herzen
paar Zusatzjobs … Wovon lebst du?«
»Ich lebe billig.« Sie lächelte und sah wieder mehr wie die Hope aus, die er kannte. »Mach dir um mich keine Sorgen. Mir geht es gut.«
Aber er wusste, dass Hope eine Maske trug. Unter der lächelnden Oberfläche steckte eine verzweifelte Frau, die sich nach einem schier unerreichbaren Ziel streckte. Sie wollte ihre Geschwister finden. Mehr noch, sie wollte die Familie wieder zusammenführen. »Du musst den Namen deiner Familie reinwaschen.«
»Ja, aber meine Geschwister zu finden, ist mir wichtiger. Das Baby ist mittlerweile acht, fast schon neun. Dem Baby geht es gut, da bin ich mir sicher. Es ist, wie Mrs. Cunningham es gesagt hat.« Hopes Stimme nahm einen widerwärtig süßlichen, gehässigen Tonfall an und einen Südstaatenakzent. » Es finden sich immer welche, die ein kleines Mädchen adoptieren wollen. Und Caitlin kann sich bestimmt nicht an uns erinnern, nicht an Mama, nicht an Daddy, an unsere ganze Familie nicht, und das ist auch gut so. Es ist einfacher für sie, sich an nichts zu erinnern.«
»Da hast du sicher Recht.« Aber während Hope so tat, als mache ihr das nichts aus, tat es ihr offensichtlich doch weh.
»Pepper war immer schon ein schwieriges Kind. Sie hat sich überall eingemischt, war boshaft und laut. Mama hat immer gesagt, sie sei sogar für einen Heiligen eine Geduldsprobe. Inzwischen ist Pepper ein Teenager, sie lebt bei Fremden oder in einem Waisenhaus. Was, wenn ihr jemand wehtut?« Hope packte seine Hand. »Ich glaube, wenn ich nur gut genug bin, kann ich die Familie wieder zusammenbringen. Pepper hat es gleich begriffen und ihren Unwillen demonstriert. Ich hoffe nur … ich hoffe nur, sie hat nicht auf die harte Tour lernen müssen, dass man besser keinen Krawall macht. Pflegefamilien sind nicht immer nachsichtig.«
»Nein, aber manche sind es bestimmt. Vielleicht hatte sie Glück.«
Hope lächelte mechanisch und nickte. Sie erkannte seine Worte an, respektierte sie, wie er es verdiente. »Meinen Bruder haben wir bekommen, da war er schon zwölf. Von ihm weiß ich viel über Pflegefamilien und wie schlimm sie sein können. Gabriel war verängstigt und misstrauisch, er hat Essen gehortet, weil er dachte, wir würden ihm nicht immer etwas geben. Mama hat gesagt, er sei wie ein wildes Tier und das wir ihn zähmen würden. Als sie ihn weggeholt haben, hatte er gerade gelernt, uns zu vertrauen. Ich werde den Ausdruck in seinem Gesicht nie vergessen. Nachts sehe ich ihn immer noch.« Sie zog die Hand weg und presste die Fäuste auf die Augen, als könne sie die Erinnerung aus ihrem Gehirn drängen. »In der einen Sache, die mir im Leben am wichtigsten war, habe ich versagt. Nachdem meine Eltern gestorben sind, war ich dafür verantwortlich, die Familie zusammenzuhalten.«
»Das darfst du nicht denken. Du warst selber noch ein Kind. Du hattest keine Wahl.«
»Ich war kein Kind mehr.« Sie schaute ihn an, und plötzlich
begriff er, welcher Zorn und welches Verlangen sie umtrieben. Sie war wütend auf sich selbst, von Schuldgefühlen zerfressen, und sie kämpfte darum, das, was sie ihrer Ansicht nach falsch gemacht hatte, wieder gutzumachen. »Ich war sechzehn. Ich hätte sie packen und mit ihnen davonlaufen sollen. Wir hätten nach Houston gehen können oder nach Mexiko. Wie hätten schon irgendwie überlebt, aber nein. Ich dachte, die Gesellschaft würde schon das Richtige tun. Jetzt sehe ich mich um und muss feststellen, dass die Gesellschaft nie das Richtige tut. Manchmal tun einzelne Menschen das Richtige. Manchmal ändert ein Mensch alles. Aber die Zivilisation hat ihre Gesetze, und die habe ich kennen gelernt: Sei niemals hilflos, sei niemals krank, sei niemals arm.« Sie sah durch ihn hindurch, als sähe sie etwas, das er sich nie hätte ausmalen können. »Deswegen tue ich alles, um zu Geld zu kommen. Ich werde Macht haben, und ich werde meine Familie wieder vereinen. Nichts kann mich aufhalten.«
Sie wusste es nicht, aber sie hatte Geld, und sie hatte Macht - durch ihn.
Er würde ihre Geschwister finden.
Zur Hölle! Er würde Decken für die Heilsarmee kaufen und sie eigenhändig verteilen. Um die Wahrheit zu sagen, die gesichtslose Masse der armen Leute kümmerte ihn immer noch nicht, aber Hope kümmerte ihn zutiefst. Ihm hatte nie zuvor so viel an einer Frau gelegen.
Sie war gütig, sie war fröhlich, sie war großzügig, sie war rücksichtsvoll … sie war sinnlich, sie war natürlich, sie hatte eine Stimme, die seine Sinne
Weitere Kostenlose Bücher