Geraubte Seele
dieser Karte war eine Telefonnummer aufgedruckt. Neben der Nummer stand eine Zahl mit der Hand geschrieben. Achtzehn.
Ich nahm nicht jede Woche einen neuen Auftrag an. Ich hatte maximal zwei, manchmal nur einen Termin im Monat. Je nach Art des Auftrages, da ich verschieden lang brauchte, um mich zu erholen. Meist waren es Termine mit Stammkunden. In den letzten Jahren nahm ich nur vereinzelt neue Aufträge an. Als ich vor fast acht Jahren damit anfing, schwor ich mir, nach meinem Uni-Abschluss, oder spätestens nach dem ersten Treffen mit der Nummer zwanzig aufzuhören. Egal ob ich mein Ziel erreicht habe oder nicht. Nun war ich der Zwanzig näher als meinem Ziel und das bereitete mir tatsächlich Sorgen, um nicht zu sagen – Angst. Ich wollte nicht den Rest meines Lebens seelenlos verbringen.
Ich wischte mir mit einem Taschentuch die Lippen ab und begab mich ins Bad. Ich hatte nach der Session bereits geduscht, aber erst nach diesem Toilettenritual fühlte ich mich halbwegs sauber. Den Rest wollte ich nun mit meinem eigenen Duschgel und heißem Wasser abspülen.
Als ich unter dem dampfenden Wasserstrahl stand, spürte ich, wie ich von einem Haufen Dreck wieder zum Menschen wurde. Die Frau Doktor Parson verschwand mit dem Schaum im Abfluss und ich verwandelte mich erneut in die Studentin, die kurz vor ihrem Abschluss stand.
„Mist!“, schlug ich mit dem Rücken gegen die Duschwand, als ich plötzlich wieder von Sternen umgeben war und dabei mein Gleichgewicht verlor.
Ich wartete einen Moment, ehe sich die grell leuchtenden Punkte wieder in fernen Galaxien verzogen und ich mir das Shampoo aus dem Haar spülen konnte. Danach stieg ich aus der Dusche und stellte mich vor den Spiegel hin. Ich tastete mich mit den Fingern durch mein nasses Haar.
Als ich mich während der Fahrt bei einem lauten Schrei so verkrampfte, dachten die Männer, ich hätte einen Orgasmus. Dabei war ich mit dem Kopf gegen den Radkasten gestoßen und nun fühlte sich mein Schädel an, als hätte man ihn mit einer Axt gespalten.
„Vielleicht habe ich eine leichte Gehirnerschütterung und hätte mich deshalb schon vor Stunden übergeben können“, murmelte ich vor mich hin. Mit Gehirnerschütterungen hatte ich bereits genügend Erfahrung.
Ich zog mir meinen weiten Hausanzug an. Den, den ich stets nur die ersten paar Tage nach solchen Terminen trug und sonst nie, um abschließen zu können. Danach trieb mich der Hunger in die Küche.
Während ich mir um zwei Uhr morgens ein Königsmahl bereitete, dachte ich zurück. Sonst erinnerte ich mich nie an solche Treffen und das weder unbewusst, noch mit Absicht. Was geschehen war, radierte ich jedes Mal, nachdem ich in das Taxi stieg, aus meinem Gedächtnis. Doch diesmal nahm in dem Taxi eine neue Geschichte ihren Lauf, und da sie mit meinen Hoffnungen zu tun hatte, erlaubte ich mir ausnahmsweise, mich zu erinnern.
Ich hoffte, die Karte war für ihn gedacht. Da ich nach mehreren Kilometern im Rückspiegel immer noch die Lichter der gleichen Autoscheinwerfer sah, fühlte ich mich in meiner Hoffnung bestätigt.
Meine Anonymität war mir sehr wichtig. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn einer dieser Männer plötzlich an die Wohnungstür klopfen würde. Na ja, das war nicht wirklich möglich, da man direkt von dem Aufzug in die Wohnräume kam und dafür musste man zuerst an dem Portier vorbei. Aber sie hätten mir vor der dem Hauseingang oder vor der Uni auflauern können und das wollte ich unbedingt vermeiden. Also fuhr ich mit dem Taxi nie direkt nach Hause, sondern in ein Hotel. So auch diesmal.
Ich trug noch die hochhackigen Schuhe, blaue Kontaktlinsen und den weißblonden Dutt, den ich aus meinen eigenen Haaren nie hätte formen können. Als diesmal das Taxi vor dem Hoteleingang stehen blieb, stieg ich nicht sofort aus. Ich wartete, bis mein Verfolger von einer Polizeistreife aufgefordert wurde, den Wagen in der zweiten Spur in Bewegung zu setzen und sich einen Parkplatz zu suchen. Kaum fuhr er an uns vorbei, um sich in die nächste Parklücke zu stellen, stieg ich aus und lief ins Hotel. Mit der Magnetkarte in der Hand fuhr ich mit dem Aufzug zu meinem Zimmer rauf. Jetzt durfte ich nicht trödeln. Schnell öffnete ich die Tür, holte die Magnetkarte, die ich am Vortag auf der Türinnenseite mit einem Klebeband befestigt hatte, damit sie griffbereit war. Dann machte ich die Tür wieder zu und als ich hinter der Tür des Nachbarzimmers verschwand, stieg er auch schon aus
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