Geraubte Seele
dem Aufzug aus.
Hier kleidete ich mich nochmals um, nahm die Kontaktlinsen aus den Augen und zog mir endlich die Perücke vom Kopf. Dann stopfte ich alles, sogar die Aktentasche, in einen dieser großen Bags, die sich weder Handtasche noch Einkaufstüte nennen durften, und verließ das Zimmer. Er stand immer noch vor der verschlossenen Tür und klopfte an. Nur kurz sah er zu mir rüber, und da ich ihn wie einen Nachtruhestörer musterte, wendete er rasch den Blick von mir ab und klopfte nochmals leise an die Tür. Ich fuhr mit dem Aufzug runter, gab die eine Magnetkarte ab und fuhr mit dem letzten Nachtbus nach Hause. Da ich beide Zimmer im Voraus bezahlt hatte, spielte es keine Rolle, wo man die andere Karte später finden würde.
Ich besaß mehrere gefälschte Personalausweise. Das war keine große Sache. Jeder zweite minderjährige Discobesucher hatte so was. Die Hotelangestellten machten sich auch keine große Mühe, sich das vorgelegte Dokument genau anzuschauen. Es ging ja auch immer nur um eine Nacht. Manchmal sagte ich einfach, ich hätte Stress mit meinem Freund und suchte lediglich einen Platz zum Übernachten. Da musste ich mich nicht einmal ausweisen.
„Wieso tust du dir das an?“ Mein Mitbewohner stand unerwartet in der Küche und sah mir zu, wie ich mir in frühen Morgenstunden und nach dem ich erbrochen hatte, den Bauch vollschlug.
„Dein Lebenswandel stand hier letztens zur Debatte. Nicht meiner. Also kümmere dich um deinen eigenen Kram.“
***
Das erste Treffen mit ihm war gerade zwei Wochen her und meine Laune war immer noch unter dem Gefrierpunkt. So viele Jahre hatte ich auf diesen Augenblick gewartet und dann …
Ich legte alle meine Hoffnungen in dieses eine Treffen und wurde sehr enttäuscht. Wobei ich nicht einmal sagen konnte, warum eigentlich. Ich musste einsehen, dass sich hinter meinen Hoffnungen nichts Konkretes verbarg. Ich erwartete mir ein Wunder, eine Eingebung, einen Zufall, der gleichwohl eine Lösung mit sich brächte. In Wirklichkeit hatte ich keinen blassen Schimmer, was hätte passieren sollen, damit mein Leben wieder in geregelte Bahnen gelang.
Ich war seiner Einladung gefolgt und besuchte ihn in einer Galerie. Die Vernissage war für zwei Tage später angekündigt und die inoffizielle Eröffnungsfeier sollte am nächsten Abend stattfinden. Ich wusste nicht, wie er zu diesen Räumlichkeiten kam und ertappte mich dabei, dass es mir zum ersten Mal wichtig war, mehr zu erfahren.
Zuerst entschuldigte er sich für das deplatzierte Benehmen in dem Eingangsbereich des Büro-Hochhauses, wo ich für seinen Geschäftspartner ins Katzenkostüm geschlüpft war. Als ich ihm darauf keine Antwort gab, schlug er mir eine kleine Führung durch die Galerie vor. Bevor er erneut nur Schweigen von mir erntete, fing er damit an.
Er wusste unheimlich viel über Kunst und Geschichte. Das war schon damals so. Ich war weder an Geschichte noch an Kunst interessiert und auch das war damals schon so. Nur damals war ich unsterblich in ihn verliebt und hing ihm förmlich an den Lippen, egal ob er über ein Gemälde, eine Skulptur oder nur übers Wetter redete.
An diesem Abend folgte ich ihm schweigend durch die hell beleuchteten Räume. Innerlich langweilte ich mich zu Tode, äußerlich ließ ich mir nichts anmerken. Trotzdem war ich mir nicht sicher, ob er mich nicht durchschaut hatte und seine Führung nicht eine mir bislang unbekannte Art der Folter sein sollte.
Nach einer halben Ewigkeit kamen wir bei einer verschlossenen Tür an, und bevor er diese öffnete, fand sein Vortrag endlich ein Ende.
Ich dachte mir:
Egal was sich hinter der Tür verbirgt, es wird bestimmt interessanter sein, als die bekritzelten Leinwände an den Wänden und die verbeulten Leimklumpen auf den Podesten und Sockeln .
Hinter der vielversprechenden Tür verbarg sich ein kleiner Raum. In seiner Mitte stand eine Liege. An den Seiten hingen Ledergurte, die zur Fixierung dienten. Auf der mit schwarzem Kunstleder bezogenen Polsterung lag ein Latexanzug.
Er ging auf die Liege zu und setzte sich drauf. Er machte es sich so richtig gemütlich, kreuzte die Arme vor der Brust und klemmte sich die Hände unter die Achseln.
„Ziehe dich aus.“
Ich zog mir zuerst die Pumps aus und stellte sie zur Seite. Dann knöpfte ich mir die Bluse auf, zog sie aus, faltete sie sorgsam zusammen und legte sie auf die Schuhe. Ich versuchte mich gar nicht zu verstecken, sondern sah ihn währenddessen aufmerksam an.
Weitere Kostenlose Bücher