Geraubte Seele
wieder mal tiefer Luft holen, doch es ging nicht mehr.
Hat er seine Fingerkuppen über die Schlauchöffnungen gelegt? Vielleicht kleine Stückchen von Papiertaschentüchern reingestopft? Kaugummi?
Ich konnte nichts sehen, ich habe es auch nicht riechen können. Eigentlich würde es mir auch nichts nutzen, wüsste ich Bescheid.
Es war anders, als bei diesem kleinen Seerosenteich hinter dem hohen Schilf. Ich glaubte dort gute Chancen gehabt zu haben, mich notfalls zu befreien. Hier nicht. Die Riemen waren so eng gebunden, in meinen Händen und Füßen machte sich langsam die Taubheit breit. Sie wurden nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt. Natürlich fing ich an zu zappeln. Den Großteil meines Körpers konnte ich gut auf der Liege hin und her schieben. Es nutzte nichts. Mit dem Zappeln konnte ich die Fesseln nicht lösen. Ich wusste nicht einmal, ob er noch im Zimmer war, oder weg gegangen war und mich meinem Schicksal überließ. So wartete ich nun mehr auf den imaginären Film mit den Ausschnitten aus meinem Leben. Doch es passierte nichts. Keine Erinnerungen an die Kindheit, auch nicht an die Schulzeit, nicht einmal an die schönen Momente mit ihm.
Ich versuchte nochmals, den Kopf so weit und so schnell wie möglich von einer Seite auf die andere zu drehen. Sollte er die Schlauchenden in den Händen halten, wollte ich sie ihm rausreißen. Nichts. Und dann erschien mir doch ein helles Bild in der unendlichen Dunkelheit. Ich sah einen Zettel vor mir. Eine Notiz, die ich selbst geschrieben hatte. Jedoch nicht die, die ich für ihn vor Jahren im Liebesrausch verfasst und mit der er sich eines Tages aus dem Staub gemacht hatte. Ich erinnerte mich plötzlich an die Nachricht, die ich in meinem Zimmer auf meiner Bettdecke hinterlassen hatte.
Ich wusste nicht, wo all die Männer wohnten, mit denen ich mich traf. Dazu kannte ich nur in den seltensten Fällen ihre Namen. Seinen schon. Bislang war es mir egal, ob man mich im Falle des Falles finden würde und ob rechtzeitig, oder zu spät. Diesmal nicht. Nun sah ich vor meinem geistigen Auge seinen Namen, geschrieben auf einen kleinen Zettel. Die großen Buchstaben leuchteten grell in der Dunkelheit, die mich umgab, und würde jetzt sein Blick durch die Latexmaske dringen können, würde er ein mildes Lächeln auf meinen Lippen entdecken.
Ich entspannte mich.
Ich fühlte mich schwerelos und driftete dahin, wobei es keine Rolle spielte, von wo und wohin. Die Liege unter mir schien verschwunden zu sein. Ich schwebte in der Luft und sogar die Schmerzen in der Lunge waren weg. Meine Augen waren geschlossen, aber ich hatte das Gefühl, sie in diesem Augenblick noch fester schließen zu wollen. Wie das gehen sollte, wusste ich nicht. Ich wusste jedoch, es würde mir bald gelingen.
Ein merkwürdiger Zustand.
Und dann landete ein Marmorblock auf meiner Brust und warf mich zurück auf die Liege. In meinem Brustkorb entfachte ein Feuer, ich drohte innerlich zu verbrennen. Wie ferngesteuert griff ich nach der Hand auf meiner Brust, ohne mir bewusst zu werden, dass ich nicht mehr angebunden war.
Es dauerte nur einen Augenblick, bis ich wieder volles Bewusstsein erlangte und als ich mir das Wo, Wie und Warum erklären konnte, nahm ich die Hand von seiner Hand runter und blieb ruhig liegen. Das Feuer in meiner Brust ging aus, nur hier und da spürte ich noch die Glut. Mit jedem weiteren Atemzug gab der brennende Schmerz langsam nach.
Er half mir, mich aufzusetzen und öffnete den Reißverschluss so weit, dass ich ihn selber greifen konnte, um dieses verschwitzte Ding von mir zu streifen. Apathisch zog ich mir wieder meine Sachen an, achtete dabei nicht darauf, dass er den Raum verließ. Als ich dann einige Minuten später durch die Galerie zum Ausgang ging, hielt er mir bereits die Tür auf. Am Straßenrand stand ein Taxi. Es wartete auf mich.
„Es hat mir sehr gefallen“, sprach er mich an, als ich durch die Tür ging. „Ich würde Sie gerne wiedersehen.“
Wochen später ärgerte ich mich immer noch über mich selbst. Noch nie hab ich unmittelbar nach einer Session einen neuen Termin vereinbart. Ich wusste nicht, was in mich gefahren war. Es schien, als stünde ich immer noch unter seinem Einfluss. So wie damals, als er über mein Schicksal entschied. An dem Tag vor zwei Wochen tat er es ebenfalls, denn ich hatte mein Leben in dem luftdichten Latexsarg lassen wollen und er ließ es nicht zu.
„Mist!“, fluchte ich laut, als ich den
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