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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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interpretative Ordnung bringen – in Form eines Netzes sich wechselseitig stützender Ideen. Vielleicht gelingt uns das, indem wir sehr allgemeine moralische Prinzipien ausarbeiten – etwa das utilitaristische Prinzip –, die jene konkreten Anforderungen und Ideale rechtfertigen und zugleich durch sie gerechtfertigt werden. Umgekehrt können wir auch damit beginnen, sehr allgemeine moralische Prinzipien zu skizzieren, die uns plausibel erscheinen, und dann prüfen, ob wir sie mit den konkreten Überzeugungen in Übereinstimmung bringen können, die wir akzeptabel finden. Wir dürfen diese interpretative Gesamtkonstruktion aber nicht in den Rahmen eines umfassenderen Netzes von Werten einfügen, weil wir unsere moralischen Überzeugungen nicht rechtfertigen oder überprüfen können, indem wir uns fragen, inwieweit sie andersartige Zwecke und Ziele befördern, die wir eventuell haben oder haben sollten.
    Dieses Ergebnis scheint aber unbefriedigend, weil es im Bereich der Moral nicht nur um Integrität, sondern auch um Authentizität geht, und letztere ein Hinausgehen über spezifisch moralische Überzeugungen erfordert. Um ihr gerecht zu werden, müssen wir uns fragen, welche Auffassung moralischer Integrität am besten dazu paßt, wie wir unsere Persönlichkeit und unser Leben verstehen wollen. Die eben kurz vorgestellte rigorose Sichtweise läßt diese Frage aber nicht zu. Wie sich im sechsten Kapitel gezeigt hat, ist es natürlich nicht sehr wahrscheinlich, daß uns jemals eine vollkommene Integration unserer moralischen, politischen und ethischen Werte gelingen wird, die wir als authentisch und richtig empfinden. Aus diesem Grund geht es bei der Verantwortung nicht um eine irgendwann bewältigte Aufgabe, sondern um ein nie abzuschließendes Projekt. Je umfassender jedoch das Netz ist, das wir erkunden können, desto weiter können wir dieses Projekt vorantreiben.
    Die rigorose Sichtweise ist außerdem in einer weiteren Hin
326 sicht enttäuschend. In der Philosophie wird oft gefragt, warum wir uns moralisch verhalten sollen. Wenn wir die rigorose Sichtweise akzeptieren, können wir darauf nur antworten: weil es die Moral verlangt. Diese Antwort ist durchaus zulässig. Rechtfertigungen sind letztendlich stets zirkulär, und die Aussage, daß die Moral sich nur selbst rechtfertigen könne, daß wir also einfach deshalb moralisch sein müssen, weil es die Moral verlangt, bringt uns an sich noch nicht in einen Teufelskreis. Trotzdem wäre es unerfreulich, wenn wir zu ihr gezwungen wären. Die Frage »Warum moralisch sein?« wird in philosophischen Debatten immer wieder neu aufgeworfen, weil es seltsam erscheint, daß die Moral, die ja häufig mit erheblichen Belastungen einhergeht, ihre normative Kraft in unserem Leben einfach daraus beziehen soll, daß sie da ist – wie ein mühsamer und ärgerlicher Berg, den wir bezwingen müssen, von dem wir aber vielleicht hoffen, daß er irgendwann hinter uns liegen oder sich irgendwie in Luft auflösen wird. Wir möchten eine Konzeption der Moral haben, die sie in einer weniger negativen Weise mit menschlichen Zwecken und Zielen verbindet, so daß sie nicht nur mit Einschränkungen, sondern auch mit einem gewissen Wert einhergeht.
    Aus diesem Grund schlage ich vor, den unabweisbaren Gedanken, daß die Moral kategorisch ist, anders zu interpretieren. Wir können ein moralisches Prinzip nicht einfach dadurch rechtfertigen, daß wir zeigen, inwiefern seine Befolgung die Wünsche eines Individuums oder aller Personen kurz- oder langfristig befördern würde. Selbst wenn wir es mit sehr aufgeklärten oder universellen, angeblich in der menschlichen Natur verankerten Wünschen zu tun haben, kann deren Vorhandensein keine moralische Pflicht begründen. So verstanden kommt in unserer Intuition, daß die Moral nicht unbedingt unseren Interessen dienen muß, einfach ein weiteres Mal das Hume'sche Prinzip zum Tragen. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß Ethik und Moral miteinander auf die von Platon, Aristoteles oder mir in diesem Buch vorgeschlagenen Weise verbunden werden,
327 weil die Ethik im Rahmen eines solchen Ansatzes nicht als psychologische Tatsachenfrage über das, was Menschen zufällig oder sogar notwendigerweise wollen oder für in ihrem eigenen Interesse liegend halten, verstanden wird, sondern ebenfalls als auf Idealen beruhend.
    Wir müssen also eine Position dazu entwickeln, was wir für unsere persönlichen Ziele halten sollten , die zu unserem Verständnis

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