Gerechtigkeit fuer Igel
jener Verpflichtungen, Pflichten und Verantwortlichkeiten paßt, die wir gegenüber anderen haben, und es rechtfertigt. Wie ich später ausführen werde, scheint Kants Moraltheorie dieser Beschreibung zu entsprechen. Seine Auffassung metaphysischer Freiheit ist am überzeugendsten, wenn wir sie als ethisches Ideal begreifen, dem in seiner Moraltheorie eine herausragende Begründungsfunktion zukommt. Mein eigenes interpretatives Projekt ist weniger grundlegend, da es eindeutiger holistisch angelegt ist. Es geht mir um eine Konzeption der gelungenen Lebensführung, die unsere Interpretation moralischer Begriffe anzuleiten vermag. Zugleich muß aber eine Konzeption der Moral gefunden werden, die unserer Interpretation einer gelungenen Lebensführung als Orientierung dienen kann.
Wenn wir mit dem Leiden anderer konfrontiert sind, fragen wir natürlich normalerweise nicht, ob es unser eigenes Leben verbessern würde, diesen Menschen zu helfen. Unser Handeln könnte durch das Leid selbst oder unser Pflichtgefühl motiviert sein. In der Philosophie ist kontrovers, ob es sich dabei um einen relevanten Unterschied handelt.
1 Sollte man einem Kind helfen, weil es Hilfe benötigt oder weil es unsere Pflicht ist, ihm zu helfen? Es ist durchaus denkbar, daß beide Motive eine Rolle spielen und viele andere hinzukommen, die durch eine differenzierte psychologische Analyse ans Licht gebracht werden könnten. Zu entscheiden, welches Motiv in einer bestimmten Situation ausschlaggebend war, könnte sich als schwierig oder sogar unmöglich herausstellen. Ich glaube nicht, daß davon viel abhängt. Wir werden einen Menschen, der tut, was
328 er für seine Pflicht hält, kaum dafür kritisieren, und es ist auch keine problematische Form von Egozentrismus, sich darüber Sorgen zu machen, welche Konsequenzen unmoralisches Handeln für das eigene Leben hat. Zu denken »Wenn ich das tun würde, könnte ich nicht damit leben« ist kein Zeichen von Narzißmus. Solche Fragen der Psychologie und des Charakters sind für das vorliegende Problem letztendlich irrelevant. Uns geht es nur darum, ob wir beim Versuch einer Klärung, Kritik oder Rechtfertigung dessen, was unter moralischer Verantwortung zu verstehen ist, vernünftigerweise davon ausgehen können, daß unsere Ansichten darüber, was moralisch geboten ist, und all die höchsten Ambitionen von uns Menschen sich wechselseitig stützen sollten.
Man kann Hobbes und Hume auch so interpretieren, daß sie nicht nur eine psychologische, sondern eine ethische Grundlage der vertrauten Moralprinzipien vorschlagen wollten. Hobbes' mutmaßliche Ethik ist jedoch unbefriedigend, da das schiere Überleben für die meisten von uns keine hinreichende Grundlage für eine gelungene Lebensführung darzustellen scheint. Humes Ansichten sind, wenn wir sie in eine Ethik übersetzen, sehr viel attraktiver, aber die Erfahrung lehrt uns, daß selbst Menschen, die für die Bedürfnisse anderer empfänglich sind, moralische – oder ethische – Probleme nicht dadurch lösen können, sich einfach zu fragen, zu welchen Gefühlsreaktionen und Handlungen sie sich von Natur aus getrieben fühlen. Diesen ethischen Ansatz zu einem allgemeinen utilitaristischen Prinzip auszubauen, hilft auch nicht weiter. Viele Philosophen hielten den Gedanken, daß ein jeder von uns seinen eigenen Interessen nicht mehr Gewicht geben sollte als den Interessen anderer, als Grundlage der Moral für durchaus überzeugend,
2 wie ich jedoch etwas weiter unten zeigen werde, ist er als Strategie für eine gelungene Lebensführung nicht geeignet.
Manche Menschen, die auf eine bestimmte Weise religiös sind, verwenden ihre Religion als rechtfertigende Ethik, was
329 an den gängigen moralisierenden Interpretationen heiliger Schriften klar zu sehen ist. Für diese Menschen besteht eine gelungene Lebensführung darin, ihren Gott zu ehren, in seinem Sinne zu leben und ihre moralische Verantwortung dadurch zu interpretieren, daß sie sich fragen, welches Verständnis dieser Verantwortung es ihnen am besten ermöglicht, Gott Respekt zu zollen und ihm gefällig zu leben. Diese Denkweise kann aber nur dann als Leitfaden für eine Integration von Ethik und Moral dienen, wenn man eine konkrete heilige Schrift als explizite und detaillierte Zusammenstellung moralischer Regeln behandelt. Wenn man (wie meines Erachtens viele religiöse Menschen) einfach nur glaubt, daß Gott einem Liebe und Barmherzigkeit im Umgang mit anderen gebietet, läßt sich
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