Gerechtigkeit fuer Igel
aus diesem Gebot allein nicht ableiten, was die Moral von uns verlangt. In jedem Fall werde ich mich im folgenden nicht auf die Idee eines göttlichen Buches mit detaillierten moralischen Anweisungen beziehen.
Das gute Leben und die gelungene Lebensführung
Wenn wir eine von Hobbes und Hume inspirierte Sicht auf die Ethik zurückweisen, religiöse Vorstellungen ebenfalls wenig verlockend finden und trotzdem an der Idee festhalten wollen, Moral und Ethik zu vereinigen, müssen wir ein anderes Verständnis dessen entwickeln, was eine gelungene Lebensführung ausmacht. Wie wir gesehen haben, kann das nicht einfach darin bestehen, daß man bekommt, was man faktisch will. In einem guten Leben muß es um unsere kritischen Interessen gehen, also jene, die wir haben sollten.
3 Aus diesem Grund verlangt die Frage, was ein gutes Leben ist, nach einem Urteil und bleibt stets kontrovers.
4 Ist es wirklich plausibel, daß moralisch zu sein der beste Weg zu einem guten Leben ist? Wenn wir an bestimmten weitverbreiteten Vorstellungen darüber, was die Moral von uns erfordert und was ein gutes Leben ist, festhalten,
330 scheint das nicht sehr wahrscheinlich. Moralische Erwägungen könnten einen Menschen zum Beispiel dazu zwingen, auf einen Job in der Werbeabteilung eines Tabakunternehmens zu verzichten, obwohl dieser ihm helfen könnte, einem Leben in extremer Armut zu entkommen. Wenn er den Job annehmen und so sozial aufsteigen würde, hätte er in den Augen der meisten Menschen ein besseres Leben.
Natürlich muß sich ein interpretativer Ansatz seine Grenzen nicht von derart konventionellen Vorstellungen vorgeben lassen. Vielleicht können wir eine Auffassung vom guten Leben entwickeln, aus der hervorgeht, daß eine unmoralische oder verachtenswerte Handlung unser Leben immer oder zumindest meistens weniger gut macht, aber ich bin mir inzwischen sehr sicher, daß ein solcher Versuch scheitern würde.
5 Jede Konzeption moralischer Verantwortung, die einigermaßen plausibel erscheint, wird von uns manchmal große Opfer verlangen – unter Umständen, unser Leben zu riskieren oder sogar zu geben. Zu glauben, daß ein Mensch, der schreckliche Schicksalsschläge erleiden mußte, ein gutes Leben hatte, daß das aber nicht der Fall gewesen wäre, wenn er sich mit unmoralischem Verhalten eine in allen erdenklichen Weisen – kreativ, emotional und materiell – bessere und zudem lange und friedliche Zeit hier erkämpft hätte, fällt uns schwer.
Wir können jedoch auch einen etwas anderen und meines Erachtens vielversprechenderen Ansatz wählen. Dazu müssen wir im Bereich der Ethik eine Unterscheidung treffen, die uns aus der Moral bereits bekannt ist, nämlich die zwischen Pflichten und Konsequenzen, oder zwischen dem Richtigen und dem Guten. Wir müssen zwischen dem guten Leben und der gelungenen Lebensführung unterscheiden. Diese zwei Errungenschaften sind wie folgt miteinander verbunden und voneinander getrennt: Eine gelungene Lebensführung besteht darin, sich um ein gutes Leben zu bemühen, dabei aber bestimmte Einschränkungen auf sich zu nehmen, die wesentlich dafür sind, der Menschenwürde gerecht zu werden. Beide Begriffe
331 sind interpretativ, und es ist Teil unserer ethischen Verantwortung, ein angemessenes Verständnis beider herauszuarbeiten.
Als grundlegende ethische Ideale sind sie voneinander abhängig. Wir können nicht adäquat erfassen, was ein gutes Leben ist, ohne zu berücksichtigen, was das Streben nach einem solchen zu einer gelungenen Lebensführung beiträgt. Wir sind Tiere mit Trieben, Instinkten, Vorlieben und Präferenzen, die sich ihrer selbst bewußt sind, und es ist nicht weiter überraschend, daß wir diese Triebe befriedigen und jenen Vorlieben nachgehen wollen. Weniger offensichtlich ist vielleicht, warum wir zudem wollen, daß unser Leben in einem kritischen Sinn gut ist – warum wir, solange unsere Triebe befriedigt werden, oder sogar, wenn das nicht geschieht, mit Stolz auf das Leben blicken wollen, das wir gelebt haben. Um dieses Bestreben zu erklären, müssen wir erkennen, daß wir für unsere Lebensführung verantwortlich sind und glauben, daß es zu einer gelungenen Lebensführung gehört, sich um ein Leben zu bemühen, das nicht nur angenehm, sondern in einem kritischen Sinn gut ist.
An dieser Stelle könnte man nun fragen, wem gegenüber wir diese Verantwortung haben. Hier auf uns selbst zu verweisen ist irreführend. Man kann aus einer Verantwortung von dem,
Weitere Kostenlose Bücher