Gerechtigkeit fuer Igel
Menschen – etwa über das natürliche Phänomen menschlichen Mitgefühls – für sich genommen irgendeine Relevanz für die Frage haben kann, wie wir leben sollen, kann der ethische Begriff der Bedeutsamkeit eine Einbindung ermöglichen. Wenn es so etwas wie eine menschliche Natur gibt, dann wäre ein bewußter Versuch, mit der eigenen Lebensweise diese Natur zum Ausdruck zu bringen, eine Möglichkeit, an unsere spezifische Situation anzuknüpfen und nicht einfach auf ein rein zufälliges Leben zurückzufallen.
Aber wie steht es mit dem Universum? Einerseits wäre es vielleicht schön zu erfahren, daß die Entstehung sich ihrer
369 selbst bewußter Lebewesen, die in unserem Abschnitt der langen Geschichte des Kosmos stattfand, kein bloßer Zufall ist, sondern Teil eines sich allmählich verwirklichenden Plans. Aber welche Folgen könnte eine solche Einsicht für unsere tatsächliche Lebensweise haben? Es gibt keine Tempel, in denen wir zum Universum beten können. Vielleicht könnte die Einsicht einen ähnlichen Einfluß auf unser Leben haben wie die Religiosität und zu einem gesteigerten Interesse an der Wissenschaft führen, insbesondere der Kosmologie. Wer meint, das Universum habe sich gemäß bestimmten Prinzipien entwickelt und er selbst sei Produkt dieses Evolutionsprozesses, wird wohl einiges daransetzen, zumindest ein Laienverständnis vom aktuellen Stand der Wissenschaft zu erlangen, ebenso wie viele Menschen sich stark für ihre Familiengeschichte interessieren, was heutzutage häufig kommerziell ausgebeutet wird. Ich denke aber, daß im Bereich der Ethik die wichtigste Auswirkung eines säkularen Glaubens an eine »Kraft, die größer als wir ist« für die meisten Menschen nicht in der Entscheidung für eine bestimmte Lebensweise liegt, sondern er vielmehr diese Menschen vor der beängstigenden Vorstellung schützt, daß alle Lebensweisen willkürlich sind. Wenn die genaue Beschaffenheit des Universums einfach dem Zufall geschuldet ist, es also letzten Endes, wenn wir wirklich tief graben, weder einen Zweck noch einen Plan gibt, könnte der Versuch absurd erscheinen, dem eigenen Leben dadurch Wert zu verleihen, daß wir auf die konkreteren Parameter unserer Situation angemessen reagieren. Wie kann daraus, wie wir auf unsere eigene Geschichte oder die unserer Spezies reagieren, irgendein Wert entstehen, und sei es ein adverbialer, wenn der Verlauf dieser Geschichte selbst nur rein zufällig ist? Nagel schließt seine Erörterung mit einer pessimistischen Note ab. Wenn es keine grundlegende Ordnung gibt, so schreibt er, »könnte es sein, daß uns allein noch ein Gefühl des Absurden bleibt, da die kosmische Frage nicht verschwindet und der Humanismus eine zu beschränkte Antwort gibt«.
370 Warum muß das daraus folgen? Nehmen wir an, daß wir tatsächlich denken – und es gibt keinen Grund, das nicht zu tun –, daß unser Universum weder Sinn noch Zweck hat. Wenn wir irgendwann in einer noch fernen Zukunft unsere hartnäckige Suche nach universell gültigen Naturgesetzen abgeschlossen haben, kann es nur noch Tatsachen geben – schlicht wahre Tatsachen –, die einfach beschreiben, was ist und was war. Das würde nicht bedeuten, daß wir Nagels kosmische Frage ignorieren oder zurückweisen müssen, denn wir könnten sie einfach genau so beantworten. Natürlich wäre es absurd, sein Leben an einem angeblichen universellen Gesetz auszurichten. Aber was ist absurd daran, einfach zu leben, ohne irgendwelche Behauptungen dieser Art zu machen? Wenn der Wert, dem Universum mit seinem Leben gerecht zu werden, adverbial ist, und es darauf ankommt, sich als mit ihm verbunden zu verstehen, dann müßte es doch ebensoviel Wert haben, einer nicht zweckgebundenen Unendlichkeit gerecht zu werden, wenn dem Universum tatsächlich kein Sinn innewohnt, wie damit verbunden wäre, einem positiven Zweck entsprechend zu leben. Aus der Tatsache, daß es nicht den einen universellen Zweck und Wert gibt, kann nicht geschlossen werden, daß kein Sinn und kein Wert geschaffen werden kann. Auch wenn kein Gott mit einem ewigen Plan existiert, können wir Pläne machen – als sterbliche Wesen, die mit einem starken Bewußtsein ihrer eigenen Würde und dessen, daß es gute und schlechte Leben gibt, um die wir uns bemühen können und die wir erleiden müssen. Warum sollte es uns nicht gelingen, in dem, was wir auf der Grundlage dessen, was schlicht der Fall ist, erschaffen, Wert zu finden, ebenso wie wir es in der Kunst
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