Gerechtigkeit fuer Igel
kann der Teil von mir, der die
374 Entscheidung trifft, ob wir ihn nun als meinen »Willen« bezeichnen oder ganz anders, nicht wirklich die Kontrolle über das haben, was geschieht – wie der Zauberer von Oz in dem bekannten Kinderbuch, der etwas vorgaukelt, indem er alle möglichen Hebel betätigt und Rauchwolken emporsteigen läßt, ohne damit irgendeine Wirkung zu erzielen.
Mir fehlt die Kompetenz, Determinismus und Epiphänomenalismus als wissenschaftliche Theorien zu beurteilen, und es ist durchaus möglich, daß beide wahr sind, auch wenn das in beiden Fällen bislang nicht bewiesen wurde. Alles ist möglich. Jede Woche werden neue überraschende Entdeckungen im Bereich der Topographie, physikalischen Beschaffenheit und Chemie des Gehirns gemacht; wir lernen immer mehr über Allele bisher vernachlässigter Chromosomen, die große Auswirkungen auf uns haben, und allgemein darüber, wie all das mit unserem geistigen Erleben zusammenhängt. Auf jeder Dinnerparty hört man neue Spekulationen über das Sexualleben der Paviane, die Religiosität von Schimpansen und das Reptiliengehirn, das sich unter Ihrem Großhirn befindet, oder die neodarwinistische Erklärung des Trolleyproblems, wie ich sie im dreizehnten Kapitel diskutieren werde. Unsere Enkelkinder sollten besser auf alles gefaßt sein.
Die Probleme
Die Frage des freien Willens ist vermutlich von allen philosophischen Problemen, die je aus der Fachliteratur in nichtakademische Bücher und die Imagination der Bevölkerung vorgedrungen sind, das beliebteste. Überall wird es mit großem Ernst diskutiert, und allein die eben erwähnte Fachliteratur ist bereits unüberschaubar und ungemein komplex.
3 (Zwei besonders einflußreiche und einander gegenüberstehende Positionen werden von Thomas Nagel und Peter Strawson vertreten.
4 )
375 In dieser Debatte werden drei Problemkomplexe miteinander vermengt, die eigentlich streng voneinander getrennt gehalten werden sollten. Zum einen wird über die Ursachen und Konsequenzen unseres Denkens und Handelns diskutiert. Ist alles menschliche Verhalten vollständig durch vorangehende Ereignisse bestimmt, über die wir selbst keinerlei Kontrolle haben, oder ist es teilweise auf zufällige physikalische oder biologische Ereignisse zurückzuführen, die aber ebenso außerhalb unserer Kontrolle liegen? Könnte es sein, daß ein bestimmtes Vermögen des menschlichen Geistes – der »Wille« – uns irgendwie zu zweckgerichteten Handlungen befähigt, die durch nichts als ihr eigenes Vorkommen verursacht werden? Obwohl viele Philosophen nicht damit einverstanden wären, werde ich all diese Fragen als »wissenschaftliche« Probleme bezeichnen. Ein hier angesprochenes Problem – ob der menschliche Wille spontan als selbst nicht verursachte Ursache aktiv werden kann – wird oft als metaphysische statt als biologische oder physikalische Frage verstanden. Thomas Nagel hält diesen Gedanken – daß die vollständige Erklärung einer Handlung mit dem Willensakt beginnen kann, ohne auf vorangehende physikalische oder biologische Erklärungen zu rekurrieren – für unnachvollziehbar und erklärt zugleich, ihm nicht widerstehen zu können.
5
Außerdem wird in der Literatur etwas erörtert, das mit dem Wort »Freiheit« bezeichnet wird. Unter welchen Bedingungen ist jemand frei, so zu handeln, wie er will? Wird diese Freiheit nur dann eingeschränkt, wenn die betreffende Person externem Zwang unterworfen ist – also etwa nur dann, wenn sie gefesselt oder eingesperrt wird – oder auch, wenn sie zum Beispiel an einer psychischen Krankheit leidet? Oder wenn es ihr an Selbstbeherrschung fehlt und sie weniger Kontrolle über ihre Begierden hat, als ihr recht wäre? Oder wenn sie den Forderungen der Vernunft und der Moral nicht gerecht wird? Oder ist Freiheit immer dann eine Illusion, wenn aufgrund vorgängiger Ereignisse und physikalischer Kräfte, die außerhalb unserer
376 Kontrolle liegen, unsere Entscheidungen und unser Verhalten vollkommen determiniert sind? Sind wir also dann und nur dann frei, wenn unser eigener Wille selbst nicht verursachte Ursache unseres Handelns ist?
Und schließlich stoßen wir auch auf Diskussionen des Problems, das uns beschäftigt: der reflexiven Verantwortung. Wann ist eine kritische Beurteilung des eigenen Verhaltens und des Verhaltens anderer angemessen oder gefordert? Unter welchen Umständen sollten wir mit Stolz oder Schuldgefühlen auf etwas reagieren und von anderen gelobt oder
Weitere Kostenlose Bücher