Gerechtigkeit fuer Igel
getadelt werden? Immer dann, wenn man nicht passiv, sondern aktiv ist? Oder wenn wir uns selbst für etwas entscheiden, statt zum Beispiel unter Hypnose dazu gebracht zu werden? Oder sind wir nur dann für unser Verhalten verantwortlich, wenn unser eigener Wille selbst die nicht verursachte Ursache desselben ist? Diese offenen Fragen hängen wie ein Damoklesschwert über dem neunten Kapitel. Dort habe ich argumentiert, daß wir alle eine grundlegende ethische Verantwortung haben, uns um die richtige Lebensführung zu bemühen und etwas aus dem eigenen Leben zu machen, und zudem erklärt, daß dies sich daran bemißt, ob man hinsichtlich dieses Lebens angemessene Entscheidungen trifft. Wenn wir aber gar nicht für unsere Entscheidungen verantwortlich sind, ist es sinnlos, von einer gelungenen oder mißlungenen Lebensführung zu sprechen, weil dann Entscheidungen keinen Einfluß darauf hätten, wie gut wir unser Leben meistern.
Ein entscheidender Punkt, den wir an dieser Stelle berücksichtigen sollten, ist die logische Lücke zwischen jenem ersten Problemkomplex – den wissenschaftlichen oder metaphysischen Fragen, die, wenn überhaupt, nur im Rahmen empirischer Untersuchungen oder philosophischer Spekulation beantwortbar sind – und dem dritten, in dem es um unabhängige ethische und moralische Fragen der Verantwortung geht. Da das Hume'sche Prinzip im Bereich der Ethik genauso strikt angewendet werden muß wie in jenem Bereich der Moral, um
377 den es im ersten Teil dieses Buchs ging, kann aus den Antworten auf die Fragen des ersten Problemkomplexes keine direkte Schlußfolgerung für das Problem der Verantwortung gezogen werden; es muß immer zusätzlich ein Werturteil vorausgesetzt werden. In der Literatur zum Problem des freien Willens wird das meines Erachtens zu wenig thematisiert – vielleicht weil Philosophen annehmen, es sei offensichtlich, welche ethischen oder moralischen Prinzipien diese Lücke überbrücken könnten. Meines Erachtens ist das aber keineswegs der Fall.
Die zweite Kategorie von Fragen – jene der Freiheit – ist jedoch nicht von den anderen beiden Kategorien unabhängig. Alle Fragen, die unsere Freiheit betreffen, stellen sich meines Erachtens bei genauerem Hinsehen entweder als wissenschaftliche oder ethische Probleme heraus. Manche Menschen gehen davon aus, daß wir nur wirklich frei sein können, wenn der Determinismus falsch ist. Anderen geht es letztendlich nur um Verantwortung: Wenn sie darüber sprechen, ob eine Person frei oder unfrei ist, meinen sie damit, ob sie für ihre Handlungen reflexiv verantwortlich ist oder nicht. Beide Ausdrucksweisen sind durchaus richtig. Es ist weder ein sprachlicher Fehler, zu behaupten, daß wirkliche Freiheit nicht mit dem Determinismus vereinbar ist, noch, daß wir trotz Determinismus wirklich frei sind, solange wir keinen externen Einschränkungen unterworfen sind. Es trägt aber wenig bei, in diesem Kontext von Freiheit zu sprechen, und oft stiftet es zusätzliche Verwirrung. In diesem Kapitel werde ich daher nicht viel über Freiheit sagen, obwohl es um die Debatte über den freien Willen geht.
Die klassischen Diskussionen des Problems des freien Willens und der Verantwortung beginnen fast immer eher mit einem moralischen als mit einem ethischen Problem. Ist es richtig, eine andere Person für das zu kritisieren, was sie getan hat, als sie halluzinierte oder an einer anderen psychischen Störung litt? Oder wenn sie eine schwere Kindheit hatte oder zu handeln genötigt wurde? Wäre es fair, jemanden einzusperren, der
378 ein Verbrechen beging, während er in der einen oder anderen dieser Hinsichten eingeschränkt war? Diese Fragen und die antizipierten Antworten lassen den Determinismus als entscheidend erscheinen. Wenn alle Handlungen durch Kräfte jenseits unserer Kontrolle determiniert werden, wie wir es uns für den Fall von Menschen mit psychischen Krankheiten häufig vorstellen, dann ist es ebenso unfair, irgend jemandem einen Vorwurf zu machen, wie im Fall von Menschen mit psychischen Krankheiten. Ich schlage vor, daß wir anders beginnen: indem wir fragen, wie und warum Menschen sich selbst normalerweise für verantwortlich für das halten, was sie getan haben, und warum sie das unter bestimmten Bedingungen nicht tun und nicht tun sollten. Ich beginne also mit der Ethik anstatt mit der Moral. Dieser alternative Ansatz bringt das vorliegende Kapitel auf eine Linie mit der allgemeinen Argumentationsstrategie des Buches, indem
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