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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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und der Musik tun? Warum sollten Werte von physikalischen Tatsachen abhängen? Aus dieser Perspektive scheint der Gedanke absurd, daß ethischer Wert von dem, was ewig ist, abhängen und von Erkenntnissen der Kosmologie in Frage gestellt werden kann. Wir müssen auch hier der immer wieder auftauchenden Versuchung widerstehen, gegen das Hume'sche Prinzip zu verstoßen. In diesem
371 Zusammenhang sind wir jedoch zu Fragen vorgedrungen, die mit zu den tiefsten gehören, die in der Moralphilosophie und der Ethik gestellt werden. Wie offen sind Werte für wissenschaftliche Erkenntnisse? Was ist gemeint, wenn wir etwas absurd nennen, und wie kommt es dazu? Wenden wir uns dem zehnten Kapitel zu.
     

372 Kapitel 10
Freier Wille und Verantwortung
    Zwei Gefahren für die Verantwortung
    Ich habe bisher über Verantwortung in ihren verschiedenen Arten und Formen geschrieben, ohne die unter Philosophen verbreitete Auffassung zu berücksichtigen, daß es so etwas überhaupt nicht gibt. Menschen sind für ihre Handlungen nur dann verantwortlich, wenn sie die Kontrolle haben über das, was sie tun – im philosophischen Standardjargon: nur dann, wenn sie einen freien Willen haben und aus freiem Willen handeln. Sie sind nicht verantwortlich, wenn jemand anders Sie in einen blinden Bettler hineinschubst oder wenn Sie durch Hypnose dazu gebracht werden, diesen Bettler zu bestehlen. Viele Philosophen – ebenso wie Millionen anderer Menschen – denken, daß diese scheinbar unschuldige Beobachtung die Ethik und die Moral zumindest in weiten und zentralen Teilen unterminiert. Was wir den »Kein-freier-Wille-Einwand« nennen könnten, wird von ihnen in der folgenden Form vorgebracht.
    »In Wirklichkeit haben Menschen nie Kontrolle über ihr eigenes Verhalten, selbst wenn es ihnen selbst so scheint. Sie haben keinen freien Willen, weil ihr Verhalten immer dadurch bestimmt wird, daß eine Kombination von Kräften und Ereignissen, über die sie keinerlei Kontrolle haben, sich auf ihr Gehirn auswirkt. Darum ist es nie wahr, daß sie auch anders hätten handeln können. Zu der Tatsache, daß unsere Entscheidungen kausal durch ihnen vorangehende Ereignisse bestimmt werden, kommt noch hinzu, daß diese Entscheidungen noch nicht einmal die Handlungen verursachen, für die wir uns für verantwortlich halten. Verantwortung ist also eine Illusion und unter den oben beschriebenen Umständen ist es nie angemessen,
373 Menschen für schuldig zu halten oder sie für das, was sie tun, zu bestrafen.«
    Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz die verschiedenen Phänomene, die hier Erwähnung finden, genau benennen. Als »Entscheidung« bezeichne ich jenes uns allen vertraute bewußte Ereignis, das wir als Entscheiden erfahren. Dazu gehören meines Erachtens nicht nur gut reflektierte, durchdachte Entscheidungen, zu denen wir uns nach einigem Nachdenken durchringen, sondern auch der quasi minütlich ohne viel Deliberation erneuerte Entschluß, mit dem fortzufahren, was wir gerade tun, anstatt etwas Neues zu beginnen.
 1 Ich gehe davon aus, daß es eine überlegte Entscheidung von Ihnen war, zu diesem Buch zu greifen, aber ich hoffe, daß Sie nicht immer wieder neu nachdenken, um sich zum Weiterlesen zu entscheiden. Wie ich den Begriff verstehe, besagt »Determinismus«, daß jede dieser Entscheidungen, die reflektierten ebenso wie die unreflektierten, vollständig durch ihr vorgängige Prozesse und Ereignisse determiniert wird und daher der Kontrolle der entscheidenden Person entzogen ist. Die Idee eines »Epiphänomenalismus« geht noch weiter: Dabei wird sogar geleugnet, daß unsere Entscheidungen irgendwie kausal daran beteiligt sind, was letztendlich mit den Nerven und Muskeln geschieht.
 2 Der Eindruck, eine Entscheidung getroffen zu haben oder etwas Bestimmtes zu tun, ist dieser Sichtweise zufolge nur ein Nebeneffekt jener physikalischen und biologischen Ereignisse, auf die das Verhalten zurückgeführt werden kann, um das es in der Entscheidung scheinbar ging. Epiphänomenalisten denken zum Beispiel, daß die Kaskade physikalischer Ereignisse, die in meinem Eintippen des letzten Wortes dieses Satzes kulminiert, bereits losgetreten wurde, bevor meine sorgfältige Entscheidung, ein bestimmtes Wort zu verwenden, überhaupt stattgefunden hat. Jener kausale Vorgang war bereits im Gang, während ich noch angesichts meiner Wortwahl zögerte oder zumindest den Eindruck hatte, das zu tun. Wenn jede bewußte Entscheidung nur ein Nebeneffekt ist, dann

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