Gerechtigkeit fuer Igel
die für dieses Kapitel relevant sind. Wenn die Gültigkeit religiöser Überzeugungen von der Existenz eines wahr
148 nehmungsanalogen kognitiven Vermögens abhängig gemacht wird, führt das zu einer ganzen Flut schwieriger Fragen. Wir können die wohlvertrauten Formen der Wahrnehmung – jene, die wir über unsere fünf Sinne erhalten – gut in eine integrierte Erkenntnistheorie einpassen, weil Biologie, Physik und Chemie die Arbeitsweise dieser Sinne auf eine Weise erklären, die verdeutlicht, warum wir ihnen vertrauen können. Wie ich bereits erwähnt habe, ist das zugegebenermaßen ebenfalls in gewisser Weise zirkulär: Wir verlassen uns zur Bestätigung der Lehren der Biologie, Physik und Chemie, die die Zuverlässigkeit unserer Sinneswahrnehmung bestätigen, auf ebendiese Sinneswahrnehmung. Diese Zirkularität integriert aber Überzeugungen und Epistemologie eines ganzen Denkbereichs, und genau das ist gemeint, wenn wir von integrierter Erkenntnistheorie sprechen. Wenn wir hingegen erklären, an eine besondere religiöse Form der Wahrnehmung zu glauben, können wir diese Überzeugung nicht mit einer abstrakteren Auffassung davon integrieren, wie jenes Vermögen funktioniert. Wir müssen einfach eine Ad-hoc -Wahrnehmungsfähigkeit stipulieren und dann zugeben, daß man ebenso berechtigt behaupten könnte, es gebe eine besondere Fähigkeit, Geister zu sehen oder mit den Toten zu sprechen.
Wenn religiöse Überzeugungen außerdem auf Wahrnehmung beruhen, wie ist dann die zu beobachtende Vielfalt religiöser Ansichten zu erklären? Warum irren sich so viele Menschen – Nichtgläubige und Angehörige anderer Religionen? Manche Menschen gehen von einer religionsinternen Erklärung der Vielfalt und der Fehlwahrnehmung aus: Ihr Gott zeigt seine Gnade nur besonders auserwählten Menschen.
16 Das ist aber auf zu simple Weise zirkulär, um als Antwort auf eine Infragestellung der Wahrnehmungsthese dienen zu können. Wir brauchen eine Erklärung, in der das Ergebnis nicht ganz so offensichtlich vorausgesetzt wird, und es scheint, daß uns außer der wenig hilfreichen Behauptung, daß manchen Menschen einfach eine Fähigkeit fehlt, die andere haben, keine zur Verfügung steht. Gibt
149 es bei den betroffenen Menschen irgendwelche Belege für einen solchen Defekt, außer ihrer angeblichen Unfähigkeit zu »sehen«, was religiös gläubige Menschen behaupten, »gesehen« zu haben?
Genau mit solchen Fragen wurde traditionell versucht, die KE -Hypothese lächerlich zu machen. In einer integrierten Epistemologie scheint kein Raum für eine besondere moralische Fähigkeit zu sein, dank derer Menschen »intuitiv« erkennen, ob Quotenregelungen fair oder ungerecht sind oder ob Abtreibungen eine verwerfliche oder eine weise Entscheidung darstellen. Wir können durchaus verteidigen, verantwortungsbewußte moralische Überzeugungen zu haben, ohne uns auf die KE -Hypothese berufen zu müssen, weil die KA -Hypothese ebenfalls falsch ist. Vielleicht lassen sich religiöse Überzeugungen auch als vernünftig verteidigen, ohne auf ein besonderes religiöses Vermögen oder eine entsprechende Fähigkeit zu verweisen, aber im Hinblick auf diese Überzeugungen sehen wir uns bei dem Versuch, sie in unsere Erkenntnistheorie zu integrieren, mit einer Schwierigkeit konfrontiert, in die wir im Fall moralischer Überzeugungen nicht so leicht geraten. Letztere beinhalten für sich genommen keine kausalen Behauptungen. Natürlichen spielen kausale Hypothesen über die physische, soziale und psychische Dimension der Welt eine Rolle in der Rechtfertigung bestimmter konkreter moralischer Aussagen. Zu jeder plausiblen Argumentation für oder gegen Quotenregelungen gehört eine Berücksichtigung der entsprechenden Konsequenzen, und natürlich müssen wir relevante wissenschaftliche Informationen in Betracht ziehen, wenn wir auf Belege für eine bestimmte Interpretation dieser Konsequenzen verweisen.
Allerdings ist zur Rechtfertigung eines moralischen Urteils nie der Verweis auf außergewöhnliche Formen der Verursachung notwendig. Die Moral braucht keine Wunder. Religiöse Aussagen sind hingegen typischerweise durchdrungen von außergewöhnlichen kausalen Behauptungen über die Entstehung der Materie und der Lebewesen sowie über die Funktionsweise
150 der Natur. Diese kausalen Aussagen sind ein unverzichtbarer Bestandteil der gegenwärtigen und historischen Attraktivität der meisten Religionen. Wenn ein gläubiger Mensch versucht, eine Religion
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