Gerechtigkeit fuer Igel
moralischen Überzeugungen nur dem Zufall verdanken und diese daher auch nur zufällig wahr sein können? Haben wir, wenn wir Quotenregelungen für fair halten und das auch der Fall ist, einfach nur Glück gehabt, ebenso wie ein Mensch, der nach einem Blick auf seine Uhr ganz zu Recht glaubt, es sei Viertel nach drei, aber nur, weil diese Uhr am Vortag zu diesem Zeitpunkt stehengeblieben ist? Manchmal scheint es sich so zu verhalten, wenn die beste Erklärung unserer Position nichts mit deren Wahrheit zu tun hat – vielleicht haben Sie eine Münze geworfen, um zu entscheiden, ob Sie in eine bestimmte Vorlesung gehen. Vielleicht kommt Ihnen das vor allem deswegen ganz furchtbar vor, weil Sie denken, daß es angesichts der Vielzahl möglicher moralischer Überzeugungen ausgesprochen unwahrscheinlich wäre, daß die Ihren wahr sind, wenn es sich dabei wirklich nur um eine Frage des Zufalls handelt.
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Hier habe ich aber zwei Fragen zusammengeworfen, zwischen denen eigentlich streng unterschieden werden muß. Ist es Zufall, daß Sie glauben, was Sie glauben? Oder ist das, was Sie glauben, nur zufällig wahr? Bei der ersten Frage geht es um eine Erklärung, bei der zweiten um Rechtfertigung, und darum bedeutet Zufall hier auch nicht dasselbe. Zum einen können wir fragen, ob Sie andere Positionen vertreten würden, wenn Ihr Leben anders verlaufen wäre. Wenn wir hier von einer
142 deterministischen Position absehen, die besagt, daß keine andere Lebensgeschichte möglich gewesen wäre, scheint das durchaus denkbar. Wenn Sie eine bestimmte Vorlesung über die Quotenregelung nicht besucht hätten, wären Sie nie mit den Argumenten konfrontiert worden, die Sie letztendlich überzeugt haben. Allgemeiner gesprochen würden Ihre Überzeugungen sich wahrscheinlich erheblich von denen unterscheiden, die Sie tatsächlich haben, wenn Sie in einer Kultur mit ganz anderen Moralvorstellungen aufgewachsen wären. Vielleicht würden Sie Waffengesetze für tyrannisch halten oder glauben, moralisch verpflichtet zu sein, Menschen zu töten, die Ihre religiösen Überzeugungen nicht teilen.
Das gilt aber nicht nur für moralische Überzeugungen; jede auch nur ansatzweise theoretische Meinung ist auf diese Weise vom Zufall abhängig. Ich glaube, daß die Erde bereits ungefähr viereinhalb Milliarden Jahre existiert. Wenn meine Eltern aber gestorben wären, als ich noch ein kleines Kind war, und eine fundamentalistische Familie mich adoptiert hätte, würde ich vielleicht denken, daß Gott die Erde vor nicht allzulanger Zeit erschaffen hat. Alle meine Meinungen über die Beschaffenheit der physikalischen Welt sind auf diese Weise kontingent. Daran ändert der Umstand, daß die meisten dieser Ansichten in meinem Umfeld sehr verbreitet sind, nichts. All das trifft auch auf alle Aspekte meines philosophischen Ansatzes zu. Es könnte durchaus sein, daß viele Philosophen die KA -Hypothese ablehnen würden, wenn sie ihren Abschluß an einem anderen Philosophieinstitut gemacht hätten. (Lassen Sie mich aber betonen, daß wir weder die Kontingenz von Überzeugungen noch die Bedeutsamkeit dieser Kontingenz überbewerten sollten).
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Bei der zweiten Frage geht es um Zufälligkeit in einem anderen Sinn. Wenn wir eine wahre Meinung haben, ist das nur dann zufällig, wenn unsere Gründe dafür, sie für wahr zu halten, schlecht sind. Deshalb haben wir es mit einem glücklichen Zufall zu tun, wenn der Mann mit der stehengebliebenen Uhr
143 mit seiner Meinung über die aktuelle Uhrzeit recht hat. Wenn Sie eine Münze werfen und dann Quotenregelungen für fair erklären, weil Kopf oben lag, wäre diese Überzeugung auf dieselbe Weise zufällig. So gesehen ist es eine wichtige moralische Frage, ob unsere Überzeugungen nur zufällig wahr sein können. Gibt es Weisen des Nachdenkens über moralische Fragen, die sich aufgrund ihrer Struktur einigermaßen dafür eignen, moralische Wahrheit zu identifizieren? Welche wären das? Antworten auf diese Fragen sind Teil einer allgemeinen Moraltheorie. Wenn es, wie ich im sechsten Kapitel behaupten werde, solche Denkweisen gibt und Sie entsprechend vorgehen, dann wäre es kein Zufall, wenn die auf diese Weise überprüften Überzeugungen wahr sind.
Hier werden Sie wahrscheinlich einwenden wollen, daß ich etwas geschummelt habe, weil wir unsere Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, mit der unsere moralischen Überzeugungen wahr sind, nicht darauf gründen dürfen, die Wahrheit einiger von ihnen vorauszusetzen,
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