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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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etwa unserer Überzeugungen über verläßliches moralisches Nachdenken. Wir müssen uns vielmehr vorstellen, zunächst überhaupt keine Meinungen zu haben und dann Kandidaten in zufälliger Reihenfolge wie Murmeln aus einem Glasbehälter zu ziehen, in dem viele falsche und einige wahre Exemplare sind. Wenn wir uns fragen, wie wahrscheinlich es ist, daß alle oder manche dieser Überzeugungen sich als wahr herausstellen, müssen wir von diesem Bild ausgehen. Dieser Vorschlag ist aber auf fatale Weise irreführend, da wir uns unser Nachdenken nicht als Lotterie vorstellen dürfen. Selbst wenn wir unsere Überzeugungen wie Murmeln aus einem Glas ziehen könnten, könnten wir nicht beurteilen, mit welcher Wahrscheinlichkeit wir eine wahre ziehen, wenn wir unsere mathematischen Ansichten ebenfalls in das Glas gesteckt haben.
    Wir müssen davon ausgehen, daß einige unserer Überzeugungen, und seien es nur unsere Wahrscheinlichkeitsurteile, wahr sind, um ein Urteil darüber fällen zu können, ob eine
144 der anderen wahr ist, und wenn wir das tun, ist die Wahrheit der anderen notwendig eine Frage von Schlußfolgerungen oder Urteilen und damit nicht zufällig. Das Bild einer Lotterie hat sich damit vollkommen aufgelöst. Die entscheidende methodologische Frage ist immer eine des Grades: Was und wie viel sollen wir als wahr voraussetzen, um den Rest entweder ganz oder teilweise beurteilen zu können? Es wäre zwecklos zu fragen, wie wahrscheinlich es ist, daß eine moralische Überzeugung wahr ist, ohne irgendwelche Annahmen darüber zu machen, was eine moralische Überzeugung wahr macht. Bei der Auffassung, daß alle moralischen Ansichten mit gleicher Wahrscheinlichkeit wahr sind, handelt es sich selbst wiederum um eine moralische Ansicht – und zwar um eine völlig verrückte. Sobald Sie sich in der Frage guten moralischen Nachdenkens auch nur die am wenigsten verzichtbaren Meinungen zugestehen, muß der Gedanke, daß die Wahrheit Ihrer weiteren moralischen Überzeugungen gänzlich zufällig ist, vollkommen aufgegeben werden. Obwohl die Angst vor der Zufälligkeit so weit verbreitet ist, handelt es sich dabei nur um ein weiteres Indiz dafür, daß die Unabhängigkeit der Werte nicht wirklich begriffen wurde, weil immer noch angenommen wird, daß irgendwo, irgendwie eine Verbindung zur kausalen Ordnung der Dinge existieren muß, wenn sich die Moral nicht in ein luftiges Nichts verflüchtigen soll.
    Integrierte Epistemologie
    Die KA -Hypothese ist Teil einer archimedischen Erkenntnistheorie und dieser Ansatz ist fehlgeleitet. Es gibt keine vollkommen abstrakte Bedingung von Wissen.
11 Jeder Gedanke hat einen Inhalt und ob ersterer bedeutungsvoll und plausibel ist, hängt von letzterem ab. Wissenschaftliche Verantwortung besteht zumindest größtenteils darin, alle wissenschaftlichen Belege zu berücksichtigen, und etwas kann nur dann wirklich
145 Beleg einer Tatsache sein, wenn seine Existenz von der jener Tatsache abhängt. Das erklärt, warum die KA -Hypothese im Bereich der Wissenschaft plausibel ist. Außerdem erklärt es, warum sie in Bereichen, die nicht mit Belegen, sondern mit Begründungen zu tun haben, wie etwa dem der Moral, sinnlos ist. Die archimedische Erkenntnistheorie scheitert, weil eine Theorie des Wissens in Relation zu unseren restlichen Ansichten gesetzt und mit ihnen verbunden werden muß. Abstrakte Epistemologie und konkrete Überzeugung müssen zusammenpassen und sich gegenseitig bestätigen, ohne daß die eine die andere vollkommen widerlegen kann.
    Wir brauchen eine integrierte Epistemologie, weil wir Annahmen darüber machen müssen, was wahr ist, um unsere Theorien darüber, wie man entscheiden soll, was wahr ist, zu testen. Unsere wissenschaftliche Methodik geht zum Beispiel von der Wahrheit dessen aus, was wir über die Optik oder die Biologie denken, auch wenn wir sie verwenden, um Aussagen in diesen Bereichen zu überprüfen. Die Teile des intellektuellen Gebäudes passen zusammen und fügen sich ineinander. Es wäre daher ein Fehler, einem bestimmten epistemologischen Axiom Vorrang vor der gesamten Erkenntnistheorie zu geben, die wir auf diese sich wechselseitig stützende Weise entwickeln. Wir können unsere Epistemologie nicht einfach beiseite schieben, um einer uns gefälligen Überzeugung Raum zu geben. In der Astrologie werden kausale Behauptungen aufgestellt – etwa über den Einfluß, den die Bahnen der Planeten auf das Eintreffen eines gutaussehenden Fremden haben –, die

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