Gerissen: Thriller (German Edition)
begriff sofort, stellte sich dem Mann mit der Schrotflinte entgegen.
Standbild. »Dad war ein großer Footballfan«, sagte Leon, »und Simeon Carter hatte einige Jahre zuvor die West Raquette Highschool besucht. Der beste Linebacker, den sie jemals hatten, zweimal so groß wie jedes andere Kind und auch alle anderen im County.«
Leon stand auf und trat zum Fernseher. »Diese Frau hier?« Eine alte Frau mit riesiger Brille, einen Cocktail mit Schirmchen in der Hand. »Sie hörte alles mit. Mein Dad rief: ›He, Simeon, du großer Dummkopf, was zum Teufel glaubst du, was du hier machst? Zisch ab nach Hause, ehe du dich in Schwierigkeiten bringst.‹« Leon schwieg einen Moment, er stand direkt vor dem Bild seines Vaters. »Eine Bemerkung, die die Kluft zwischen den Generationen verrät«, meinte er. »Unter anderen Umständen hätte sie sogar komisch sein können.«
»Es tut mir leid«, sagte Ivy.
»Er brauchte den Job nicht«, sagte Leon. »Schon als wir anfingen, waren die Einnahmen so hoch, dass er bequem von seinem Anteil hätte leben können. Aber mein Dad … nun, Sie hätten ihn kennen müssen.«
Ivy starrte auf das Standbild: die entsetzte Kellnerin, Leons unnachgiebiger Vater und drei verborgene Gesichter, wenngleich Marv Lusks zusammengebissene Zähne hinter dem Mundschlitz seiner Maske zu erkennen waren. Carter schaute auf Jerry Redfeather hinunter. Harrow langte in seine Jacke; seine Haltung wirkte ein wenig unbeholfen.
Leon ging zurück zu seinem Platz und griff nach der Fernbedienung. Action. Simeon Carter schwang die Schrotflinte gegen Jerry Redfeather, schlug sie ihm gegen den Kopf. Jerry stürzte, zog aber im Fallen seine Waffe. Die Mündung blitzte, und plötzlich hatte Lusk ein großes Loch oben in seiner Maske und fiel nach hinten. Die Kellnerin rannte weg. Jerry, der am Boden lag, wirkte benommen, als hätte es ihm den Atem verschlagen. Carter, die Schrotflinte jetzt in einer Hand, trat einen Schritt zurück und richtete sie auf Jerry. Jerry begann seine Waffe zu heben. Die Schrotflinte ging los, auf dem Band eine riesige weiße Explosion, und Jerry wurde ein paar Schritte über den Boden geschleudert; aber Ivy erkannte auch ein kleineres, simultanes Aufblitzen von Jerrys Waffe.
Carter schielte auf seine Brust, er schien überrascht. Er taumelte zwei Schritte zurück, dann brach er auf dem Boden zusammen. Harrow trat über Carters Körper hinweg, ein wenig stolpernd, und warf einen Kanister nach rechts. Er bückte sich zu Jerry, riss einen Schlüsselbund von dessen Gürtel. Rauch kräuselte sich ins Bild. Harrow schloss die Tür des Zählraums auf und ging mit erhobener Waffe hinein.
Der Rauch wurde dichter. Harrow kam innerhalb weniger Sekunden wieder heraus, einen Seesack in der Hand. Er rannte nach links, aus dem Bild heraus.
Ein weiterer Mann erschien, langsam und vorsichtig, ein Taschentuch über dem Mund. Er kniete sich neben Jerry, suchte an dessen Hals nach dem Puls, ging weiter zu Carter, schließlich zu Marvin Lusk. Lusk hob den Kopf ein paar Zentimeter. Seine Lippen bewegten sich.
»Ein Arzt, der zufällig anwesend war«, erklärte Leon. »Lusk sagt ihm, dass alles Frank Mandrells Schuld ist.«
Blut rann aus Lusks Mund, dann strömte es. Der Rauch wurde dichter. Leon stellte das Gerät ab.
Er schaute Ivy direkt an.
»Es muss schwer sein, das anzusehen«, sagte Ivy.
»Am Anfang«, sagte Leon. Aber seine Augen waren nicht ganz trocken.
»Ihr Vater war so mutig«, sagte Ivy.
»Er hätte das nicht so gesehen«, meinte Leon. »Hilft Ihnen irgendwas davon weiter?«
Ivy wusste es nicht. Wie verabscheuenswert die Aufnahme doch in so vieler Hinsicht war; das Allerschlimmste war vielleicht der Moment, in dem Harrow die Schlüssel von Jerrys Gürtel riss.
»Könnte ich nur den letzten Teil noch einmal sehen?«, bat Ivy. »Wo er rausrennt?«
Leon spielte das Ende noch einmal ab. Harrow rannte in einer Art Entengang, mit kurzen, abgehackten Schritten, fast schwerfällig.
Leon fuhr mit Ivy über einen holprigen Feldweg, der am Fluss entlangführte und bei einer riesigen Weide endete, deren Zweige ins Wasser hingen. Sie stiegen aus dem Wagen, liefen einen Bootsanleger hinunter, dessen Zement gesprungen und dessen Wände ausgespült waren. Von der kanadischen Seite blies ein kalter Wind. Das Geräusch des Flusses klang wie schschsch.
»Hier hat Frank Mandrell auf Harrow gewartet«, sagte Leon. »Er hatte ein kleines Motorboot an der Weide verankert. Die Grenzpatrouille war in
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