Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
Vom Netzwerk:
verglichen hatte. Es kam oft vor, dass sich Zeugen unsicher waren, doch dass sie derart widersprüchliche Angaben machten, das war mehr als ungewöhnlich. Oppenheimer griff nach seiner Jacke und rief: »Wo ist Hoffmann?«

    MÄNNER im Alter von 16–70 Jahren gehören in den Einsatz, nicht in den BUNKER, ermahnte ein Schriftzug auf der Häuserwand. Unsere Mauern brechen, aber unsere Herzen nicht – Führer befiehlt, wir folgen, stellte ein Plakat die Situation klar. Es waren die üblichen Parolen, wie sie überall in der Stadt hingen und auch das Haus zierten, dessen Adresse Fräulein Becker als ihren Wohnort angegeben hatte. Doch Oppenheimer stand nun ratlos davor. Es war mehr als unwahrscheinlich, dass Fräulein Becker ihn unter diesen Umständen in ihre Wohnung hineinbitten würde, denn das Haus existierte nicht mehr. Wie zum Hohn standen noch die Außenmauern. Das Haus hätte unversehrt ausgeschaut, wäre die Fassade nicht überall verrußt gewesen und hätte man durch die Fensteröffnungen nicht den grauen Himmel statt Gardinen gesehen.
    Immer noch perplex über diese Entdeckung, trat Oppenheimer von einem Bein auf das andere. Er ging in Gedanken die Chronologie der Ereignisse durch. In der Nacht vom Sonntag auf Montag hatte der letzte Bombenangriff stattgefunden. Als er Fräulein Becker vernommen hatte, war sie gerade aus einem Bunker in der näheren Umgebung zurückgekehrt. Konnte es sein, dass sie von der Zerstörung ihrer Wohnung noch nichts gewusst hatte?
    Gleich gegenüber befand sich eine Metzgerei. Als Oppenheimer sie betrat, herrschte kein Betrieb, was in Zeiten der Nahrungsrationierung nicht ungewöhnlich war. Der Fleischer saß hinter seinen leeren Auslagen auf einem Stuhl und machte ein Nickerchen.
    »Entschuldigung?«, sagte Oppenheimer laut, um den Herrn in dem weißen Metzgerkittel aufzuwecken.
    Doch dieser murmelte nur: »Kommen Se morgen wieder. Is heut nix da.«
    »Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Ich suche Fräulein Becker. Sie wohnte gegenüber in Nummer vierunddreißig.«
    Der Metzger schob seine Mütze nach hinten und setzte sich auf. »Nummer vierunddreißig? Da ham Se Pech. Wussten Se noch nich? Berlin ist eine Stadt der Warenhäuser. Hier war’n Haus. Da war’n Haus.« Er gluckste vergnügt vor sich hin.
    »Ist Fräulein Becker Sonntagnacht ausgebombt worden?«
    »Am Sonntag? Nee, dit is schon zwei Wochen oder so her.«
    Oppenheimer glaubte zuerst, sich verhört zu haben. Doch als er nochmals nachfragte, bestätigte der Metzger, dass Fräulein Becker noch vor Beginn der Invasion ausgebombt worden war. Er hatte keine Ahnung, wo sie jetzt wohnte, aber gelegentlich kam sie noch vorbei, um Fleisch bei ihm zu kaufen.
    Oppenheimer stapfte wieder hinaus, überquerte die Straße und musterte die Zettel, die an die Haustür geheftet waren. Eine neue Adresse von Fräulein Becker befand sich nicht darunter. Also gab es nur noch die Möglichkeit, die Nachbarn zu fragen.
    Wie überall in der Stadt herrschte auch in diesem Viertel der größte Betrieb an den öffentlichen Wasserpumpen. Da viele Leitungen zerstört waren und die Wasserversorgung auch sonst immer wieder streikte, waren die Straßenbrunnen zum neuen Brennpunkt des Lebens avanciert. Oppenheimer musste ein wenig suchen, da der Wasseranschluss hinter dem ausgebrannten Skelett eines Autos verborgen war. Eine Frau füllte ihre beiden Wassereimer auf. Eine andere saß auf dem Bordstein und seifte ihre Wäsche ein, während sie mit der Nachbarin ein Schwätzchen hielt. Obwohl sich die Frauen als sehr auskunftsfreudig erwiesen, konnten sie Oppenheimer nicht sagen, wo Fräulein Becker hingezogen war.
    Verstimmt ließ er sich daraufhin zurück nach Zehlendorf fahren. Während Hoffmann seinem Geschwindigkeitsrausch frönte, grübelte Oppenheimer, in dem Beiwagen eingepfercht, vor sich hin. Ihre Zeugin hatte zwei unterschiedliche Angaben zum Täter gemacht, und dann hatte sie auch noch eine falsche Adresse angegeben. »Sind denn alle Leute plemplem?«, fluchte Oppenheimer laut vor sich hin.

    Noch am gleichen Nachmittag ließ er Güttler zu sich kommen. »Ich habe eine Aufgabe für Sie«, erklärte Oppenheimer. »Finden Sie Fräulein Elfriede Becker für mich. Es ist dringend. Hier ist ihre ehemalige Adresse. Vor ungefähr zwei Wochen wurde sie ausgebombt. Keine Ahnung, wo sie jetzt wohnt. Doch es muss in Steglitz sein. Sie kauft noch bei ihrem alten Metzger ein.«
    Güttler nahm den Zettel mit der Anschrift entgegen. »Ich verstehe.

Weitere Kostenlose Bücher