Germania: Roman (German Edition)
Ich schlage vor, als Erstes zur Vermisstenstelle und zum Meldeamt zu gehen. Dort herrscht heutzutage zwar ein großes Durcheinander, aber vielleicht werde ich fündig. Da es dringend ist, würde ich außerdem dazu raten, einen Kollegen bei der Metzgerei zu postieren. Wenn das Fräulein Becker wieder bei ihm einkauft, kann ihn der Metzger auf sie aufmerksam machen.«
Oppenheimer war zufrieden. Vogler hatte nicht zu viel versprochen, Güttler war ein schneller Denker. »Sehr gut, das machen wir so. Wenn Sie die neue Adresse haben, dann geben Sie mir bitte umgehend Bescheid.«
Güttler zögerte. »Nur eine Frage noch. Ich bin gerade an einer anderen Untersuchung beteiligt.«
»Reden Sie mit Vogler darüber. Ich nehme das auf meine Kappe. Und sagen Sie ihm, dass ich ausdrücklich um Ihre Unterstützung gebeten habe. Ich gebe Ihnen freie Hand, Güttler. Egal, wie Sie es anstellen, finden Sie diese Dame.«
»Sofort«, sagte Güttler und setzte seinen Hut auf. Seine Augen funkelten vor Jagdeifer.
Trotz einiger Betriebsamkeit verlief der nächste Tag insgesamt ereignislos. Da Kitty die Namen ihrer Kunden nicht nennen konnte oder wollte, erstellte Oppenheimer für sie eine Liste mit allen Verdächtigen. Als er sie fragte, ob darunter einer ihrer Kunden sei, identifizierte sie keinen, doch sie versprach, später ihre Mädchen zu befragen.
Vogler hatte mittlerweile den Briefkasten der Redaktion von Der Angriff bewachen lassen. Den letzten Brief hatte der Mörder selbst eingeworfen, doch nach dem jüngsten Mord war noch kein weiteres Schreiben bei der Zeitschrift eingetroffen.
Güttler hatte ebenfalls kein Glück. Fräulein Becker blieb unauffindbar. Sie war offiziell nirgends gemeldet, und auch in der Metzgerei hatte sie sich nicht wieder blicken lassen. Güttler nahm sich als Nächstes vor, auch die Meldeämter in Berlins unmittelbarer Umgebung abzuklappern. Sein Ehrgeiz, die Frau zu finden, wurde durch die Rückschläge offenbar noch zusätzlich angestachelt.
Am Freitag war Vogler in Hochstimmung, worüber sich Oppenheimer ein wenig wunderte, denn es gab immer noch keine neuen Ergebnisse. Er schlussfolgerte, dass es wohl mit der militärischen Situation an der Westfront zu tun hatte. Frustriert saß er zwischen seinen Papierbergen, trank Kaffee, bis sein Magen rebellierte, und machte schließlich früh Feierabend.
Als Oppenheimer ins Judenhaus zurückkehrte, war Lisa noch bei der Arbeit. In der Küche fand er ein altes Stück Kommissbrot und aß es, belegt mit einer Wurst des seligen Dr. Klein. Es kostete ihn eine gewisse Überwindung, die geschenkten Lebensmittel zu verzehren, denn Oppenheimer musste dabei ständig an den alten Arzt denken. Umso mehr setzte er die Hoffnung darauf, dass die Alliierten bald vor der Stadt stehen und dem Spuk ein Ende bereiten würden. Doch die Ostfront war noch weit entfernt in Karelien, in Italien ging es auch nur langsam voran, und bei der Invasion an der Westfront schien sich in den letzten Tagen ebenso wenig getan zu haben. Dass aus der Normandie kaum Nachrichten eintrafen, ließ darauf schließen, dass beide Seiten vermutlich ihre Truppen zusammenzogen und noch nicht zum Losschlagen bereit waren. Außerdem blieb das Wetter in der Normandie schlecht, so dass die feindliche Luftwaffe nur eingeschränkt zum Einsatz kam. Die Hoffnung der Nationalsozialisten ruhte in dieser Situation auf Generalfeldmarschall Rommel, der die Abwehr am Atlantikwall übernommen hatte. Für Oppenheimer war Rommel zweifellos ein fähiger Mann, doch leider stand er auf der falschen Seite. Die Amerikaner und Engländer hatten noch keinen Hafen einnehmen können, um von dort ihren Nachschub zu organisieren. Solange dies nicht geschehen war, hing alles in der Schwebe.
Als Lisa nach Hause kam, erfuhr Oppenheimer von ihr den Grund für Voglers Überschwang.
»Diese Schweine haben England mit fliegenden Bomben beschossen«, sagte sie, noch ehe sie den Mantel abgelegt hatte. »Kannst du dir das vorstellen? Einfach so über den Kanal geschossen. Die ganze Zeit über haben die Kolleginnen von dieser Vergeltungswaffe geredet. Ganz London soll zerstört sein.«
Oppenheimer blieb sein Bissen Brot im Hals stecken. »Was sagst du? Ich dachte, das ist nur Propaganda.«
»Anscheinend nicht. Die Ersten wetten schon darauf, dass der Krieg in einer Woche vorbei ist. Vielleicht solltest du besser Gasmasken für uns besorgen.«
»Du meinst, die Engländer werden es auf einen Gaskrieg ankommen lassen?«
»Viele reden jetzt
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