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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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wieder davon.«
    Allein schon die Vorstellung war für Oppenheimer grauenerregend. Im letzten Krieg war er unzählige Male Gasangriffen ausgesetzt gewesen, immer in der bangen Hoffnung, dass seine Gasmaske funktionieren würde. Er hatte damals das unbeschreibliche Glück gehabt, ungeschoren davonzukommen, ganz anders als manche seiner Kameraden, die unter entsetzlichen Todesqualen verreckt waren, nachdem sich das Gas in ihren Lungen zu Salzsäure umgewandelt hatte. Eines war klar: Mit der Vergeltungswaffe hatte der Führer eine neue Phase des Krieges eingeläutet. Es würde nicht lange dauern, bis sich die Briten revanchierten. Doch Oppenheimer wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass sie nicht zu diesem letzten, schmutzigen Mittel griffen. »Vielleicht kommt es nicht so schlimm. Man sollte die Engländer nicht an deutschen Maßstäben messen. Churchill ist kein Hitler.«
    »Trotzdem, versprichst du mir, die Masken zu besorgen?«
    Oppenheimer überlegte kurz. »Sobald ich wieder nach Zehlendorf komme, schaue ich, was ich tun kann.«
    Da die Lage sehr beunruhigend war, beschloss Oppenheimer, etwas von dem Geld, das ihm Kitty zugesteckt hatte, in einen Kinobesuch zu investieren. Er hoffte, in der Wochenschau mehr zu erfahren. Die Abendvorstellung um halb acht Uhr konnte er noch schaffen. »Was meinst du«, fragte er Lisa. »Möchtest du dir einen Film anschauen?«
    Oppenheimer brauchte ein Weile, um Lisa zum Mitkommen zu überreden. Sie scheute sich vor dem Risiko, da Juden der Besuch eines Lichtspielhauses untersagt war. Schließlich versprach er ihr, sich sicherheitshalber erst in den Saal zu wagen, wenn das Licht erloschen war und der Vorfilm lief. Als sie die Treppe hinabstiegen, kam gerade der alte Schlesinger aus dem Keller. Als er sie erblickte, hielt er Oppenheimer auch schon auf. »Herr Oppenheimer, ich habe einen Brief für Sie!«
    Oppenheimer und Lisa wechselten einen Blick. Sie hatten gelegentlich darüber diskutiert, warum Schlesinger eigentlich die Befugnis hatte, die komplette Post des Hauses vom Postboten entgegenzunehmen, um sie dann an die Bewohner zu verteilen. Lisa hegte den Verdacht, dass der Alte vorher alle Kuverts über Wasserdampf öffnete, um die fremden Briefe zu lesen. Doch Oppenheimer wollte sich auf keine lange Diskussion einlassen und machte gute Miene zum bösen Spiel.
    »Das ist aber nett, dass Sie ihn für mich entgegengenommen haben!«, erwiderte er freundlich.
    Schlesinger ging in sein Zimmer und kehrte mit einem Umschlag zurück. Oppenheimer musterte ihn kurz. Auf dem Kuvert fehlte der Absender.
    »Für Sie«, fügte Schlesinger auffordernd hinzu.
    »Besten Dank, Herr Schlesinger«, sagte Oppenheimer nur, während er das Schreiben in der Innentasche seines Mantels verschwinden ließ.
    »Was kann das nur sein?«, fragte Lisa, als sie zusammen den Gehsteig entlangliefen.
    »Keine Ahnung«, erwiderte Oppenheimer. »Aber vor Schlesinger wollte ich den Brief nicht öffnen.«
    Oppenheimer hatte sich dagegen entschieden, vorher im Beusselkiez seinen Mantel zu wechseln. Es war ihm egal, ob ein Verfolger dahinterkam, dass er sich in eine Filmvorführung schmuggelte. Es war ein Risiko, das er eingehen konnte, solange er für Vogler arbeitete. Sie bestiegen die S-Bahn am Tiergarten und fuhren die zwei Stationen bis zum Savignyplatz. Am Ku’damm gab es mehrere Lichtspielhäuser, Oppenheimer wusste allerdings nicht genau, welche bereits zerbombt waren. Zu seinem Glück stießen sie gleich auf den UFA-Palast Kurfürstendamm, der noch in Betrieb zu sein schien. Heute lief hier Der große Preis mit Gustav Fröhlich und Otto Wernicke. Doch Oppenheimer achtete kaum darauf, für welchen Film er seine Karten löste.
    Als sie im Foyer auf den Einlass warteten, vergewisserte sich Oppenheimer, dass der Umschlag noch in seiner Innentasche steckte. Er wagte es nicht, den Brief zu öffnen, während die Zuschauer in den Saal drängten. Es war sicherer, bis nach der Wochenschau zu warten.
    Nach einem Gongschlag wurde es dunkel. Oppenheimer und Lisa schlichen in den Saal und setzten sich auf die erstbesten freien Plätze. Der Vorhang öffnete sich und gab den Blick auf den Reichsadler frei, der den Beginn der Wochenschau markierte. Ein stilisiertes Kalenderblatt vom 6. Juni 1944 erschien. »Ein Datum von weltgeschichtlicher Bedeutung«, kommentierte der Sprecher. »Unter dem Druck Moskaus haben Briten und Amerikaner die seit langem angekündigte und von uns erwartete Invasion begonnen. Sie findet Deutschland

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