Germania: Roman (German Edition)
Kitty in der Giesebrechtstraße.«
Am nächsten Tag saß Oppenheimer auf dem Rücksitz von Voglers Daimler und ließ sich zum Salon Kitty fahren. Güttler vom Sicherheitsdienst, der die Verbindung der Toten zum Bordell aufgedeckt hatte, war mit von der Partie. Er war ein Mann mit flinken Bewegungen und freundlichem Lächeln. Sein Kopf war bereits so gut wie kahl, obwohl er vielleicht gerade mal Mitte dreißig war. Oppenheimer wusste selbst nicht so recht, was ihn veranlasst hatte, Güttler mitzunehmen. Vielleicht war es der Drang, in dem zwielichtigen Etablissement eine Anstandsdame dabeizuhaben. Jedenfalls hatte Vogler ihn als fähigen und zuverlässigen Mann beschrieben, und Oppenheimer dachte, das dies in jeder Situation von Vorteil war. Eigentlich hatte er bereits gestern vorgehabt, dem Salon Kitty einen Besuch abzustatten, doch die Inhaberin Kitty Schmidt hatte auf einen späteren Termin gedrängt, wenn nicht so viel Betrieb in ihrem Bordell herrschte. Jetzt war es früher Nachmittag, anscheinend der ideale Zeitpunkt.
Die Giesebrechtstraße lag am südlichen Rand von Charlottenburg. Offiziell firmierte der Salon als Pension Schmidt, doch wegen der lautstarken Feiern zu nachtschlafender Stunde und der schweren Limousinen, die jeden Abend vor dem Haus hielten, wussten praktisch alle Nachbarn, dass den Kunden hier mehr als nur Kost und Logis geboten wurde. Die Nachbarschaft war durchaus prominent, gleich nebenan im Haus Nummer 12 wohnte der SS-Obergruppenführer Dr. Ernst Kaltenbrunner, der in seiner Funktion als Leiter des Reichssicherheitshauptamtes auch Chef der Sicherheitspolizei und des SD war. Damit war er auch gleichzeitig der oberste Vorgesetzte von Güttler. Irgendwo in dieser Straße musste auch Eduard Künnecke wohnen. Oppenheimer schätzte dessen Operette Der Vetter aus Dingsda sehr, wirklich komisch und mit einigen Gassenhauern, die gekonnt instrumentiert waren. Es war eine schöne Abwechslung von der opernhaften Tragik, der Franz Lehár mittlerweile aufgesessen war und die den Schwung seiner früheren Werke aufgezehrt hatte.
Alles in allem hätte Kitty Schmidt kaum eine exklusivere Adresse für ihr Freudenhaus finden können, denn es lag nur wenige Meter vom Ku’damm entfernt. Das geschäftige Treiben auf dem exklusiven Boulevard passte hervorragend ins Konzept eines Edelbordells, das für prominente Besucher der oberen Gesellschaftsschicht attraktiv sein wollte. Laut Güttler hatten sich hier schon illustre Persönlichkeiten die Klinke in die Hand gegeben, darunter ranghohe Militärs, Diplomaten und Parteifunktionäre. Gegenwärtig machten jedoch vor allem Soldaten auf Fronturlaub den Großteil der Kundschaft aus. Da sich Güttler hervorragend mit dem Salon Kitty auszukennen schien, fragte sich Oppenheimer insgeheim, ob er gar selbst Kunde in diesem Etablissement war.
Oppenheimer hatte seinerzeit bei der Kriminalpolizei gelegentlich von diesem Freudenhaus gehört. Der Salon Kitty genoss in der Stadt den besten Ruf. Nicht nur wegen der Damen, die dort ihrem Gewerbe nachgingen, sondern auch, weil Diskretion seitens der Inhaberin Kitty Schmidt und ihrer Belegschaft großgeschrieben wurde. Undeutlich erinnerte sich Oppenheimer daran, mal eine Anekdote gehört zu haben, der zufolge am Tag von Hitlers Machtergreifung in Kittys geräumiger Altbauwohnung eine Feier stattgefunden hatte, an der SA-Führer und Juden gleichermaßen teilgenommen hatten. Güttler verschwieg natürlich dieses pikante Detail bei seinen Ausführungen.
Hoffmann hielt vor dem Haus mit der Nummer 11, während Güttler erklärte: »Es ist hier gleich im Erdgeschoss.« Wegen Güttlers Holzbein dauerte es ein wenig länger, bis sie ausgestiegen waren.
Oppenheimer blickte die Fassade empor. Er glaubte, dort oben den Rand eines Behelfsdachs zu erkennen. Offensichtlich hatte das Gebäude vor einiger Zeit einen Bombentreffer abbekommen.
Als sie im Treppenhaus vor der Wohnungstür standen, öffnete ihnen ein Dienstmädchen mit weißer Schürze und Haube.
»Wir haben einen Termin mit Frau Schmidt«, erklärte Oppenheimers Begleiter.
»Kommen Sie doch herein«, sagte das Dienstmädchen.
Sie betraten einen Vorraum, von dem mehrere Türen abgingen. Die Einrichtung war genau so, wie Oppenheimer sie sich vorgestellt hatte: plüschig, überall schwere Vorhänge, ein Palmengewächs in der Ecke, dicke Teppiche auf dem Boden, Stuckverzierungen an der Decke. Das Mädchen wollte die Besucher gerade ankündigen, als sich eine der Türen
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