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Germania: Roman (German Edition)

Germania: Roman (German Edition)

Titel: Germania: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Gilbers
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Lisa sah. Sie lag bewusstlos auf dem Bett, vollständig bekleidet. Oppenheimer stürzte zum Fenster und riss es mit einem Ruck auf.
    Kühle Luft wehte ihm ins Gesicht. Im selben Augenblick hörte er schwere Motoren über ihr Haus hinwegdröhnen und das schrille Pfeifen fallender Bomben.
    Es war, als seien sie unter einen D-Zug geraten. Draußen wütete ein ohrenbetäubendes Inferno. Detonation folgte auf Detonation. Am Himmel konnte Oppenheimer mit bloßem Auge erkennen, wie sich die Konturen der Flugzeuge vor die grauen Wolken schoben. Wenn sie so tief flogen wie jetzt, konnte auch die Flak nichts dagegen ausrichten. Doch Oppenheimer hatte keine Zeit, sich weiter darum zu kümmern. Er packte Lisa unter den Achseln und zerrte sie zum Fenster. Außer sich vor Entsetzen schlug er ihr auf die Wangen.
    Plötzlich öffnete Lisa ihre Augen und atmete mit einem Seufzer tief ein. Oppenheimer hielt sie fest, spürte, wie sich ihr Körper verkrampfte, als sie das Gas aushustete.

2
    Sonntag, 7. Mai 1944
    I m Judenhaus war es in den letzten Monaten leer geworden. Das erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass die übriggebliebenen Mieter bald wieder in neue, noch engere Behausungen umziehen mussten. Die ehemaligen Mitbewohner waren nacheinander verschwunden, der Schaufensterdekorateur Schwartz, der genau wie Oppenheimer ebenfalls mit einer Arierin verheiratet war und ständig Zeichnungen gekritzelt hatte, die Familie Lewinsky mit den vier Kindern, der distinguierte Anwalt Dr. Kornblum, der sich liberal nannte und weder für das Reformjudentum noch für die Orthodoxie Verständnis zeigte und direkt neben den strenggläubigen chassidischen Eheleuten Jacobi wohnen musste, die ihm mit ihren ewigen Gebeten furchtbar auf die Nerven gegangen waren. Fort war auch der proletarisch angehauchte Glasbläser Franck, der stets große Vorbehalte gegen Ostjuden gehegt hatte. Sie alle hatten nach ihrer Evakuierung durch die Gestapo Leerstellen in dem Gebäude hinterlassen, zugesperrte Räume, die man nicht mehr betreten durfte.
    Natürlich war das Wort Evakuierung, das die Behörden offiziell für die Abtransporte verwendeten, nichts weiter als Schönfärberei. Es ging keineswegs darum, Juden wie die Lewinskys oder Jacobis vor den Bomben in Schutz zu nehmen, die auf Berlin herunterprasselten, vielmehr hatte man sie weit in den Osten ins KZ verfrachtet. Oppenheimers Nachbarn wussten aufgrund der kursierenden Gerüchte, dass ihnen der Tod so gut wie sicher war. Doch bis zuletzt, wenn die Gestapo kam, um sie in einen Zugwaggon zu verfrachten, wollten sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass die geflüsterten Schrecken übertrieben waren, dass es ihnen irgendwie gelingen würde zu überleben. Sicherlich würde die Gestapo auch bald Dr. Klein abholen. Da seine arische Ehefrau vor einer Woche verstorben war, stand er nicht länger unter dem Schutz der Mischehe. Doch Dr. Klein hoffte, aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nach Theresienstadt zu kommen, was allgemein als weniger schlimm galt. Nicht mehr lange, und auch sein Zimmer würde leer sein.
    Und nun hätte beinahe auch Lisa in diesem Haus auf tragische Weise eine klaffende Lücke hinterlassen.
    »Ich hab wohl vergessen, das Gas unter dem Wasserkessel anzuzünden«, murmelte sie benommen. »Die ganze Aufregung mit Richard … wollte mir einen Muckefuck machen.«
    »Zum Glück wurde das Gas wegen dem Fliegeralarm abgestellt, sonst hätte das böse enden können, Frau Oppenheimer«, sagte Dr. Klein. Er packte seine Utensilien wieder in den abgewetzten Arztkoffer. Oppenheimer blickte grübelnd auf die zwei roten Stempelkarten der Gestapo, die auf der gegenüberliegenden Tür klebten. »Leider ist die Familie Lewinsky nicht mehr da. Sonst hätten sie den Gasgeruch sicher bemerkt.«
    Dr. Klein musterte Lisa, die am Tisch saß. Der Kessel begann zu pfeifen. Auf Dr. Kleins Anweisung hin hatte Oppenheimer Wasser aufgesetzt.
    »So, ich glaube, jetzt brauchen Sie wirklich einen Muckefuck. Oder, warten Sie …« Verstohlen fingerte Dr. Klein in seinem Koffer herum und zauberte urplötzlich Kaffeebohnen hervor. »Hier, um Ihren Kreislauf wieder in Schwung zu bringen. Das ist besser als der olle Ersatzkaffee«, bemerkte er.
    Die Wirkung war ähnlich, als hätte er einen Klumpen Gold auf die Tischplatte fallen lassen. Für einige Sekunden war sogar Lisas Unglück vergessen, denn sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, bestürzt auf die Kaffeebohnen zu starren. Lebensmittel wie Fleisch, Eier oder Milch

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