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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Missetat.
    »Donner Gottes, warum hast du das getan?«
    »Ich weiß nicht; ich hatte das Verlangen.«
    Er beharrte bei dieser Antwort. Seit drei Tagen hatte er dieses Verlangen. Es quälte ihn; der Kopf tat ihm weh davon, da, hinter den Ohren, so beharrlich dachte er daran. Hatte man diese Saukerle von Soldaten zu schonen, welche die Bergleute in ihrem eigenen Heim belästigten? Von den heftigen Reden im Walde; von den Rufen nach Verwüstung und Tod, welche durch die Gruben hallten, waren ihm fünf oder sechs Worte im Schädel geblieben, die er immerfort wiederholte, wie ein Straßenjunge, der »Revolution« spielt.
    Mehr wußte er nicht; niemand hatte ihn gedrängt; es war ihm ganz von selbst gekommen, etwa wie ihm die Lust kam, von einem Felde Zwiebeln zu stehlen.
    Entsetzt über dieses dumpfe Entstehen des Verbrechens in diesem Kinderschädel versetzte er ihm noch einen Fußtritt wie einem unbewußt handelnden Tiere. Er zitterte, daß der in der Voreuxgrube aufgestellte Militärposten den unterdrückten Schrei der Schildwache gehört haben könne; jedesmal, wenn der Mond hervortrat, warf er einen ängstlichen Blick nach der Grube. Aber es hatte sich nichts gerührt; und er neigte sich vor, betastete die allmählich erstarrenden Hände, horchte nach dem Schlage des stille stehenden Herzens des ermordeten Soldaten. Man sah von dem Messer nichts als das Heft, in welches das Wort »Liebe« in schwarzen Buchstaben eingraviert war.
    Vom Halse wandten sich seine Blicke zum Gesichte und er erkannte den kleinen Soldaten Julius, den Rekruten, mit dem er eines Morgens geplaudert hatte. Tiefes Mitleid erfaßte ihn beim Anblicke dieses blonden, mit rötlichen Sommerflecken übersäeten Gesichtes. Die blauen Augen standen weit offen und schauten zum Himmel empor mit jenem starren Blick, mit dem er neulich am Horizonte seine Heimat gesucht hatte. Wo war jenes Plogoff, das gleichsam in blendendem Sonnenschein vor ihm aufgetaucht war? Weit, weit. Das Meer heulte fern in dieser sturmbewegten Nacht. Der Wind, der so hoch dahinfuhr, war vielleicht auch über das kahle Küstenland hinweggestrichen, wo der kleine Soldat zu Hause war. Dort standen zwei Frauen, die Mutter und die Schwester, hielten ihre Hauben fest, damit der Wind sie nicht entführe, und schauten gleichfalls in die Ferne, als hätten sie sehen können, was der kleine Soldat zu dieser Stunde machte jenseits der hunderte von Meilen, die sie trennten. Sie würden lange, lange auf ihn warten können. Wie abscheulich ist es, wenn die Armen untereinander sich für die Reichen töten!
    Doch die Leiche mußte fortgeschafft werden. Etienne dachte zuerst daran, sie in den Kanal zu werfen. Die Gewißheit, daß man sie dort finde, brachte ihn davon wieder ab. Da geriet er in die höchste Angst; die Minuten drängten; welchen Entschluß sollte er fassen? Er hatte eine plötzliche Eingebung: wenn er die Leiche bis zur Réquillartgrube schaffen könnte, so wüßte er sie daselbst für immer zu vergraben.
    »Komm' her!« sagte er zu Johannes.
    Der Junge traute ihm nicht.
    »Nein, du willst mich prügeln. Überdies habe ich zu tun. Gute Nacht!«
    In der Tat hatte er mit Bebert und Lydia ein Stelldichein verabredet in einem Versteck, einem Loche, das sie unter den Holzvorräten der Voreuxgrube sich zurechtgemacht hatten. Es war ein Ausflug zwischen den drei Kindern vereinbart worden; sie wollten die Nacht über von Hause ausbleiben, um dabei zu sein, wie die belgischen Arbeiter bei der Anfahrt mit Steinen beworfen würden.
    »Komm' hierher,« wiederholte Etienne, »oder ich rufe die Soldaten, die dir den Kopf abschneiden.«
    Als Johannes sich entschloß, rollte er sein Taschentuch zusammen und band es fest um den Hals des Soldaten, ohne das Messer herauszuziehen, das den Blutfluß hinderte. Der Schnee schmolz, und man sah auf dem Boden weder eine rote Pfütze, noch die Spuren eines Gestampfes, die ein Ringen verraten hätten.
    »Fasse ihn an den Beinen.«
    Johannes faßte den toten Soldaten bei den Beinen, Etienne bei den Schultern, nachdem sie das Gewehr auf seinem Rücken befestigt hatten. Langsam stiegen sie mit ihrer Last den Hügel hinab und achteten sorgfältig darauf, daß die Steine nicht ins Rollen gebracht wurden. Glücklicherweise hatte der Mond sich wieder verhüllt; aber als sie längs des Kanals forteilten, erschien er wieder in seiner vollen Klarheit. Es war ein Wunder, wenn der Militärposten sie nicht sah. Schweigend beschleunigten sie ihre Schritte, gehindert durch das

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