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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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flüsterte sie:
    »Ich habe Kummer genug, kränke mich nicht noch mehr Wohin würde dein Verlangen nunmehr führen, da ich einen Liebhaber habe und du eine Geliebte?«
    Sie sprach von der Mouquette. Sie glaubte, er lebe mit diesem Mädchen, wie es seit zwei Wochen erzählt wurde; als er versicherte, daß es nicht wahr sei, schüttelte sie den Kopf, und erinnerte ihn an den Abend, da sie gesehen hatte, wie sie sich küßten.
    »Wie schade um alle die Dummheiten!« hub er wieder an, indem er stehen blieb. »Wir würden uns so gut vertragen haben.«
    Sie schauerte zusammen und antwortete dann:
    »Bedaure es nicht, du hast nicht viel verloren. Wenn du wüßtest, wie hinfällig ich bin, nicht dicker als ein Stückchen Butter für zwei Sous und dabei so schlecht gebaut, daß ich niemals ein Weib werde, gewiß nicht!«
    Sie beschuldigte sich in freimütigem Tone des langen Zögerns ihrer Mannbarkeit, als ob es ihr Vergehen sei. Trotzdem sie schon mit einem Manne lebte, ward sie dadurch kleiner, in die Reihe der Kinder zurückversetzt. Wenn man wenigstens ein Kind machen könne, habe man doch eine Entschuldigung.
    »Arme Kleine!« sagte Etienne leise, von tiefem Mitleid ergriffen.
    Sie befanden sich am Fuße des Hügels, in dem tiefen Schatten des riesigen Erdhaufens geborgen. Ein tiefschwarzes Gewölk zog eben am Monde vorüber; sie sahen ihre Gesichter nicht mehr; ihre Atemzüge flossen ineinander, und ihre Lippen suchten sich zu dem Kusse, dessen Verlangen sie ehemals monatelang gequält hatte. Doch plötzlich erschien der Mond wieder, und sie sahen über ihren Köpfen, hoch auf dem lichtübergossenen Gipfel die Schildwache vom Voreux kerzengerade stehen. Noch ehe sie sich geküßt, trennte sie ein Gefühl der Scham, jene Scham von ehemals, in die sich der Zorn mengte, ein unbestimmter Widerwille und sehr viel Freundschaft. Sie machten sich wieder auf den Weg, mühselig, bis zu den Knöcheln im Kote watend.
    »Also ausgemacht, du willst nicht?« fragte Etienne.
    »Nein«, sagte sie. »Du nach Chaval, wie? Und nach dir ein anderer... Nein, das ekelt mich; ich finde kein Vergnügen dabei, warum soll ich es tun?«
    Sie schwiegen und gingen wieder etwa hundert Schritte, ohne ein Wort auszutauschen.
    »Weißt du wenigstens, wohin du gehst?« fragte er dann. »Ich kann dich in einer solchen Nacht nicht auf der Straße lassen.«
    Sie antwortete einfach: »Ich gehe nach Hause. Chaval ist mein Mann; ich habe nicht anderswo zu schlafen als bei ihm.«
    »Aber er schlägt dich tot!«
    Sie schwieg und zuckte nur ergeben mit den Achseln. Er werde sie prügeln, und wenn er müde sei, aufhören. Sei das nicht immer noch besser, als sich auf den Straßen herumzutreiben wie eine Metze? Übrigens sei sie an die Schläge gewöhnt und sage sich zu ihrem Troste, daß unter zehn Mädchen acht es nicht besser träfen als sie. Wenn ihr Liebhaber sie eines Tages zur Frau nehme, sei es von ihm ganz schön.
    Etienne und Katharina hatte ihre Schritte mechanisch nach Montsou gelenkt. Je mehr sie sich dem Orte näherten, desto schweigsamer wurden sie. Es war, als seien sie gar nicht mehr beisammen. Er fand nichts mehr zu sagen, um sie zu überzeugen, trotzdem es ihn tief bekümmerte, sie zu Chaval zurückkehren zu sehen. Ihm brach das Herz, aber er hatte ihr nichts Besseres anzubieten; sein Leben war das erbärmliche Dasein eines Flüchtigen, eine Nacht ohne Morgen, wenn die Kugel eines Soldaten ihm den Kopf zerschmetterte. Vielleicht war es in der Tat klüger zu leiden, was man litt, ohne es mit einem anderen Leid zu versuchen. Er geleitete sie gesenkten Hauptes zu ihrem Liebehaber zurück und fand kein Wort des Widerspruches, als sie bei dem Werkshof in der Hauptstraße etwa zwanzig Meter von Piquettes Wirtshause stehen blieb und ihm sagte:
    »Komm' nicht weiter. Wenn er dich sieht, gibt es wieder eine häßliche Geschichte.
    Im Kirchturm schlug es elf Uhr; das Wirtshaus war geschlossen, aber durch die Ritzen der Türe sah man noch Licht.
    »Lebewohl!« flüsterte sie.
    Sie hatte ihm die Hand gereicht, und er behielt sie in der seinen, so daß sie ihm sie mit sanfter Gewalt entziehen mußte, un sich von ihm zu trennen. Ohne den Kopf zu wenden, trat sie durch die kleine Haustür. Aber er ging noch nicht fort, sondern blieb auf demselben Platze stehen, die Augen auf das Haus gerichtet, voll Angst, was drinnen geschehen mochte. Er spitzte die Ohren und zitterte, daß er das Geheul eines geprügelten Weibes hören könne. Das Haus blieb dunkel und still;

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