Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Die Mouquette entkam mit einem Satze, indem sie sich den Kameraden zwischen die Beine warf. Drei Bergleute, Levaque und zwei andere wurden aus der Gruppe der ärgsten Schreier geholt und im Aufseherzimmer einer Wache übergeben. Negrel und Dansaert schrien von oben dem Kapitän zu, sich in das Gebäude zurückzuziehen und sich mit ihnen einzuschließen. Doch er lehnte ab, denn er fühlte, daß dieses Gebäude, das Türen ohne Schlösser hatte, von der Menge im Sturm genommen und er mit seinen Leuten den Schimpf erleben würde, entwaffnet zu werden. Seine kleine Truppe begann ungeduldig zu murren; man konnte doch nicht vor diesem jämmerlichen Volk in Holzschuhen die Flucht ergreifen. Die sechzig Mann mit ihren geladenen Gewehren nahmen wieder an der Wand Aufstellung und fällten das Bajonett.
    Zuerst wich die Menge zurück, und Schweigen trat ein. Die Streikenden waren eine Weile verblüfft über diesen Akt der Gewalt. Dann erhob sich ein Geschrei, man forderte die augenblickliche Freigebung der Gefangenen. Einzelne Stimmen riefen, die Gefangenen würden drinnen erwürgt. Ohne Verabredung, von der nämlichen Aufwallung, von dem nämlichen Rachebedürfnis fortgerissen, rannten sie zu den benachbarten Ziegelhaufen, zu diesen Ziegeln, die aus der lehmigen Erde geformt und an Ort und Stelle gebrannt wurden. Die Kinder schleppten sie einzeln herbei; die Weiber füllten ihre Röcke damit. Bald hatte jeder zu seinen Füßen einen Vorrat aufgehäuft, und der Kampf mittels Steinwürfen begann.
    Die Brulé eröffnete den Kampf. Sie zerbrach die Ziegel auf ihrem magern, knochigen Knie und schleuderte mit beiden Händen die Stücke. Die Levaque verrenkte sich schier die Schultern; sie war so dick und weich, daß sie ganz nahe herankommen mußte, um zu treffen; vergebens zerrte Bouteloup hinten an ihrem Rocke, um sie wegzuführen, da ihr Mann jetzt im Kühlen saß. Alle Weiber gerieten in die höchste Erregung; die Mouquette hatte nicht mehr die Geduld, die Ziegel an ihren dicken Schenkeln zu zerbrechen und zog es vor, sie ganz zu schleudern. Auch die Kinder traten in die Kampflinie ein; Bebert zeigte Lydia, wie man die Ziegel unter dem Ellbogen hinwegschleudern müsse. Es war ein Hagel von riesigen Wurfgeschossen, deren Krachen man hörte. Plötzlich bemerkte man mitten unter den Furien Katharina, die Fäuste in der Luft, halbe Ziegel schwingend und sie mit der ganzen Kraft ihrer kleinen Arme schleudernd. Sie hätte nicht sagen können, warum; sie erstickte schier vor Begierde, die Leute zu morden. Sollte denn dieses verwünschte Unglücksdasein nicht bald ein Ende nehmen? Sie hatte es satt, von ihrem Manne geohrfeigt und davongejagt zu werden, wie ein verlaufener Hund im Straßenschmutz zu waten, ohne von ihrem Vater einen Löffel Suppe verlangen zu können, da ja auch er selbst mit den Seinen darbte. Es wollte niemals besser werden; es wurde im Gegenteil immer schlechter. Sie zerbrach Ziegel und schleuderte sie vor sich hin mit dem einzigen Gedanken, alles hinwegzufegen, die Augen dermaßen blutunterlaufen, daß sie nicht sah, wem sie mit ihren Steinwürfen die Kinnladen zerschmetterte.
    Etienne war vor den Soldaten stehen geblieben, und es wäre ihm beinahe der Schädel gespalten worden. Sein Ohr schwoll an; er wandte sich um und erbebte, als er sah, daß der Wurf von den fiebernden Händen Katharinas gekommen; auf die Gefahr hin getötet zu werden, blieb er auf seinem Platze und schaute ihr zu. Auch viele andere vergaßen sich, leidenschaftlich angeregt durch den Kampf, und verfolgten ihn mit hängenden Armen. Mouquet beurteilte die Würfe, als wohne er einem Kugelspiel bei; dieser war gut, der andere hingegen verfehlt. Er spaßte; er stieß mit dem Ellbogen Zacharias an, mit dem Philomene zankte, weil er Achilles und Desiree [[?] Desirée] geohrfeigt und sich geweigert hatte, die Kinder auf seinen Rücken zu nehmen, damit sie besser sähen. Weiterhin die Straße entlang standen Zuschauer in dichter Masse beisammen. Auf der Höhe des Abhanges erschien am Eingange des Dorfes jetzt der alte Bonnemort, auf einen Stock gestützt, unbeweglich, aufrecht unter dem rostfarbenen Himmel.
    Als die ersten Ziegel flogen, stellte sich der Aufseher Richomne zwischen die Soldaten und die Grubenarbeiter. Er bat die einen, er ermahnte die anderen, unbekümmert um die Gefahr, dermaßen verzweifelt, daß schwere Tränen ihm aus den Augen flossen. In dem Lärm wurden seine Worte nicht gehört; man sah bloß seinen dicken, grauen Schnurrbart

Weitere Kostenlose Bücher