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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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verspreche euch, daß, wenn man ungerecht gegen euch sein sollte, ich es sein werde, der den Herren die Wahrheit sagt ... Aber jetzt ist's zuviel! Es führt zu nichts, diesen braven Soldaten Beschimpfungen zuzuschreien und sich den Leib durchlöchern zu lassen.«
    Die Menge hörte ihn an und geriet ins Schwanken. Zum Unglück erschien oben wieder das scharfe Gesicht des kleinen Negrel. Er fürchtete ohne Zweifel, man könne ihn beschuldigen, einen Aufseher zu senden, anstatt sich selber unter die Leute zu wagen, und versuchte zu reden. Doch seine Stimme verlor sich in einem so furchtbaren Lärm, daß er abermals das Fenster verlassen mußte, was er mit einem Achselzucken tat. Nunmehr bat Richomne sie vergebens in seinem Namen und wiederholte vergebens, daß Kameraden sich verständigten müßten: man wies ihn zurück, man verdächtigte ihn. Doch er war eigensinnig und blieb unter ihnen.
    »Donner Gottes!« rief er. »Man zerschlage mir den Schädel unter euch; aber ich verlasse euch nicht, solange ihr so dumm seid!«
    Etienne, den er bat, er möge ihm helfen, sie zur Vernunft zu bringen, machte eine Gebärde, die besagte, daß er machtlos sei. Es war zu spät; ihre Anzahl stieg jetzt auf mehr als fünfhundert. Es waren nicht bloß Wütende, welche herbeigeeilt waren, um die Belgier zu vertreiben; es waren auch Neugierige da, Spaßvögel, die an dem Rummel sich ergötzten. In geringer Entfernung standen mitten in einer Gruppe Zacharias und Philomene und schauten zu wie im Theater, so ruhig, daß sie ihre beiden Kinder, Achilles und Desiree, mitgebracht hatten. Eine neue Schar kam aus Réquillart, darunter Mouquet und die Mouquette; der erstere ging sogleich zu seinem Freunde Zacharias und schlug ihm lustig auf die Schulter, während die letztere sehr aufgeräumt in der vordersten Reihe der ärgsten Schreier herumtollte.
    Der Kapitän wandte sich indes jeden Augenblick nach der Straße von Montsou. Die verlangte Verstärkung kam nicht; seine sechzig Mann konnten nicht länger standhalten. Endlich kam er auf den Einfall, auf die Menge einzuwirken, und befahl, daß vor ihren Augen die Gewehre geladen wurden. Die Soldaten vollzogen den Befehl; allein die Bewegung nahm noch zu: die Prahlereien und Spöttereien wurden immer ärger.
    »Schau, die Tagediebe! Sie ziehen zum Scheibenschießen aus!« spotteten die Weiber, die Brulé, die Levaque und die anderen.
    Die Maheu, an der Brust den kleinen Körper Estelles, die erwacht war und weinte, kam so nahe heran, daß der Sergeant sie fragte, was sie mit dem armen Wurm da wolle.
    »Was hat's dich zu kümmern?« antwortete sie. »Schieße auf das Kind, wenn du es wagst!«
    Die Männer schüttelten verächtlich den Kopf; kein einziger glaubte, daß man auf sie schießen könne.
    »Sie haben keine Kugeln in ihren Kartuschen«, sagte Levaque.
    »Sind wir Kosaken?« schrie Maheu. »Man schießt doch nicht auf Franzosen, Donner Gottes über euch!«
    Andere wiederholten, daß man das Blei nicht fürchte, wenn man den Krimkrieg mitgemacht habe. Alle fuhren fort, sich den Gewehren entgegenzuwerfen. Eine Salve würde in diesem Augenblicke die ganze Menge weggefegt haben. In der ersten Reihe gebärdete die Mouquette sich wie toll, weil sie glaubte, daß die Soldaten den Weibern die Haut durchlöchern wollten. Sie hatte ihnen alle ihre Unflätigkeiten zugeschrien, keine Beschimpfung war ihr niedrig genug; und plötzlich -- weil sie der Truppe nur mehr diesen tödlichen Schimpf zufügen konnte -- zeigte sie den Hintern. Mit beiden Händen hob sie ihre Röcke empor und streckte die Lenden hin, breitete die ungeheure Rundung aus.
    »Hier, das ist für euch! Er ist noch zu sauber, ihr Schweinetroß!«
    Sie duckte sich, bückte sich, drehte sich, daß jeder seinen Teil bekomme.
    »Das ist für den Offizier! das für den Sergeanten! das für die Soldaten.«
    Ein wahrer Sturm von Gelächter brach los. Bebert und Lydie wälzten sich vor Lachen, und Etienne selbst -- trotz seiner düsteren Haltung -- stimmte mit ein beim Anblick dieser scheußlichen Nacktheit. Alle, die Spaßvögel und die Wütenden, johlten jetzt gegen die Soldaten, als ob sie dieselben von Unflat befleckt sähen; nur Katharina, die abseits auf einem Haufen alter Hölzer stand, blieb stumm, fast erstickend, fortgerissen von dem Hasse, dessen Flut sie immer höher steigen sah.
    Doch jetzt entstand ein Stoßen und Drängen. Um die Aufregung seiner Leute zu beschwichtigen, entschloß der Kapitän sich endlich, Verhaftungen vorzunehmen.

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