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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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und Arme entblößt, sie war in so toller Hast herbeigelaufen, daß die grauen Haarbüschel ihr in die Augen fielen und sie fast blendeten.
    »Donner Gottes, ich bin auch dabei!« stammelte sie atemlos. »Dieser Verräter Pierron hielt mich im Keller eingeschlossen.«
    Unverzüglich fiel sie über die bewaffnete Macht her, Verwünschungen aus dem schwarzen Rachen speiend.
    »Ihr Hundsfötter! Ihr Halunken! Das leckt den Vorgesetzten die Stiefel und hat nur Mut gegen die armen Leute!«
    Da schlossen die anderen sich ihr an, und es folgten ganze Breitseiten von Beschimpfungen. Einige riefen noch: »Hoch die Soldaten! In den Schacht mit dem Offizier!« Aber bald hörte man nur einen Ruf: »Nieder mit den roten Hosen!« Diese Soldaten, die unempfindlich, mit unbeweglichem, stummem Antlitz die Aufforderungen zur Brüderlichkeit, die freundschaftlichen Anwerbungsversuche anhörten, bewahrten denselben starren Gleichmut unter diesem Hagel von Schimpfworten. Der Kapitän, der hinter ihnen stand, hatte seinen Degen gezogen. Als die Menge immer näher herandrängte und seine Leute an die Wand zu drücken drohte, kommandierte er: »Fällt das Bajonett!« Die Soldaten gehorchten, und eine Doppelreihe von Stahlspitzen starrte den Leibern der Streikenden entgegen.
    »Ha, die Halunken!« heulte die Brulé zurückweichend.
    Doch sogleich kehrten alle zurück in einer begeisterungsvollen Todesverachtung. Weiber stürzten herbei; die Maheu und die Levaque riefen:
    »Tötet uns! Tötet uns doch! Wir wollen unser Recht!«
    Auf die Gefahr hin, sich die Hände zu zerschneiden, hatte Levaque ein Bündel Bajonette ergriffen, drei Bajonette, die er schüttelte, die er an sich zog, um sie loszureißen; und er verbog sie mit der verzehnfachten Kraft seiner Wut, während Bouteloup, den es verdroß, dem Kameraden gefolgt zu sein, abseits stand und ruhig zusah, was der andere trieb.
    »Drauflos, wenn ihr Mut habt!« rief Maheu. »Drauflos, laßt einmal sehen!«
    Er öffnete seine Jacke, tat sein Hemd auseinander, breitete seine nackte Brust aus, sein behaartes, von der Kohle gesprenkeltes Fleisch. Er drängte sich gegen die Stahlspitzen und zwang sie so zurückzuweichen, furchtbar in seiner Tollkühnheit. Eine der Spitzen war ihm in die Brust gedrungen; er war davon wie toll und machte Anstrengungen, daß sie noch tiefer eindringe, damit er seine Seiten platzen höre.
    »Feiglinge, ihr wagt es nicht ... Hinter uns gibt es noch zehntausend! ... Ihr könnt uns töten, es kommen zehntausend andere.«
    Die Lage der Soldaten wurde kritisch, denn sie hatten den strengen Befehl, sich ihrer Waffen nur im äußersten Falle zu bedienen. Aber wie wollte man diese Wütenden verhindern, sich selber aufzuspießen? Der Raum wurde zudem immer kleiner; die Soldaten waren jetzt knapp an die Mauer gedrängt und konnten nicht weiter zurückweichen. Die kleine Truppe, eine Handvoll Menschen, hielt sich standhaft angesichts der immer mehr anwachsenden Menge der Grubenarbeiter, und führte kaltblütig die knappen Befehle des Kapitäns aus. Dieser stand mit hellen Augen und eingekniffenen Lippen da und hatte nur die eine Furcht, daß die Soldaten durch die Beschimpfungen gereizt, die Geduld verlieren könnten. Ein junger Sergeant, ein langer Magerer, dessen dünner Schnurrbart in drohende Spitzen auslief, begann in beunruhigender Weise zu blinzeln. Neben ihm stand ein alter Knasterbart, dessen Haut in zwanzig Feldzügen gegerbt worden; dieser erbleichte, als er sein Bajonett wie einen Strohhalm sich biegen sah. Ein anderer, ohne Zweifel ein Rekrut, der noch nach der Feldarbeit roch, ward jedesmal sehr rot, wenn er sich einen Halunken und Hundsfott nennen hörte. Die heftigen Reden nahmen kein Ende, die emporgestreckten Fäuste, die Beschimpfungen, die hingeschleuderten Beschuldigungen und Drohungen, die sie gleich Backenstreichen trafen. Die ganze Macht des Befehls war notwendig, um sie mit stummem Antlitz in dem stolzen und traurigen Schweigen der militärischen Disziplin zu erhalten.
    Ein Zusammenstoß schien unvermeidlich, als man hinter der Truppe den Aufseher Richomne mit seinem weißen Kopfe eines gutmütigen Gendarmen auftauchen sah. Er war in großer Aufregung und schrie:
    »Donner Gottes! Das ist schließlich zu dumm! Solche Dummheiten darf man nicht gestatten!«
    Er warf sich zwischen die Bajonette und die Bergleute,
    »Kameraden, höret mich! Ihr wißt, daß ich ein alter Arbeiter bin und nie aufgehört habe, einer der eurigen zu sein. Beim Himmel, ich

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