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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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zittern.
    Doch der Ziegelhagel ward immer dichter; dem Beispiele der Weiber folgend, beteiligten sich jetzt auch die Männer daran.
    Da bemerkte die Maheu, daß ihr Mann zurückblieb und mit leeren Händen und düsterer Miene hinten stand.
    »Was ist dir denn?« schrie sie. »Bist du feige? Willst du deine Kameraden ins Gefängnis abführen lassen? ... Du solltest sehen; wenn ich dieses Kind nicht auf dem Arm hätte!«
    Estelle, die sich heulend an ihren Hals geklammert hatte, hinderte sie, sich der Brulé und den anderen anzuschließen; da ihr Mann sie nicht zu hören schien, schleuderte sie ihm mit dem Fuße Ziegelstücke zwischen die Beine.
    »Himmelherrgott! Wirst du sogleich diese Steine nehmen? Muß ich dir vor den Leuten ins Gesicht speien, um dir Mut zu machen?«
    Sehr rot geworden, zerbrach er die Ziegel und schleuderte die Stücke. Sie geißelte und betäubte ihn mit den wütenden Worten, die sie hinter ihm bellte, wobei sie ihre Tochter, die in ihren gekrümmten Armen an ihrer Brust lag, schier erdrückte. Er rückte immer weiter vor und befand sich jetzt den Gewehrläufen gegenüber.
    Die kleine Truppe verschwand schier unter diesem Sturm von Ziegelsteinen. Glücklicherweise warfen sie zu hoch, so daß die Mauer arg zugerichtet wurde. Was war anzufangen? Der Gedanke, sich ins Haus zurückzuziehen, den Rücken zu wenden, färbte einen Augenblick das bleiche Gesicht des Kapitäns; aber es war nicht mehr möglich; man würde sie bei der geringsten Bewegung zerschmettert haben. Ein Ziegelstein hatte soeben den Schirm seines Käppi zerbrochen; Blutstropfen flossen über seine Stirn. Mehrere seiner Leute waren verwundet, und er hatte das Gefühl, daß sie schon außer sich waren in jenem zügellosen Trieb der Selbstverteidigung, wo man aufhört, den Vorgesetzten zu gehorchen. Der Sergeant hatte einen Fluch ausgestoßen; die linke Schulter war ihm schier ausgerenkt worden durch einen Steinwurf, der dumpf auf das Fleisch schlug wie ein Schlägel auf die Wäsche. Der Rekrut war zweimal getroffen worden; der eine Wurf hatte ihm einen Daumen zerschmettert, der andere hatte ihn am rechten Knie verletzt. Sollte man sich diese Nörgelei noch lange gefallen lassen? Als ein von der Mauer abprallender Stein den alten Haudegen unter dem Bauche traf, wurden seine Wangen grün, und sein Gewehr zitterte in den mageren Armen. Dreimal war der Kapitän auf dem Punkte »Feuer!« zu kommandieren. Eine tiefe Angst benahm ihm den Atem; ein endlos scheinender Kampf von wenigen Sekunden jagte in ihm alle Gedanken und Pflichten, alle Überzeugungen des Menschen und des Soldaten durcheinander. Jetzt verdoppelte sich der Steinhagel; er öffnete den Mund, um »Feuer!« zu schreien -- da gingen die Flinten von selber los, zuerst drei Schüsse, dann fünf, dann eine ganze Salve, und zuletzt ein einziger Schuß lange nachher mitten in tiefer Stille.
    Stummes Entsetzen herrschte in der Menge. Die Leute waren starr und wollten es noch nicht glauben, daß die Soldaten geschossen hatten. Doch bald ertönten gellende Schreie, während der Trompeter »Feuer einstellen!« blies. Es entstand ein tolles Entsetzen, eine wilde Flucht durch den Schmutz des Werkhofes.
    Bei den ersten drei Schüssen sanken Bebert und Lydia aufeinander; die Kleine war im Gesicht getroffen, der Knabe hatte eine Wunde unterhalb der linken Schulter empfangen; Lydia war augenblicklich tot; der Knabe bewegte sich noch; er ergriff sie in den Zuckungen des Todeskampfes mit seinen mageren Ärmchen, als wolle er sie wieder umfangen wie in dem finstern Loche, wo sie die letzte Nacht verbracht hatten. Johannes hinkte eben schlaftrunken vom Réquillart herbei und sah, wie jener sein Weibchen umarmte und starb.
    Die fünf anderen Schüsse hatten die Brulé und den Aufseher Richomne niedergestreckt. In dem Augenblicke, da er die Kameraden beschwor, im Rücken getroffen, war er auf die Knie gesunken, dann auf die Seite gefallen; jetzt röchelte er am Boden, die Augen noch voll Tränen, die er geweint. Die Alte war -- in den Hals getroffen -- steif und krachend niedergefallen wie ein Stück trockenen Holzes, einen letzten Fluch in einem Blutstrom ausspeiend.
    Dann war die Salve gekommen und hatte den Platz reingefegt, auf hundert Schritte Entfernung die Gruppe von Neugierigen niedergemäht, die sich an dem Kampfe ergötzt hatten. Eine Kugel fuhr Mouquet in den Mund; er stürzte zu den Füßen Zacharias' und Philomenes nieder, beide Kinder derselben mit seinem Blute bespritzend. In

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