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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Ein Weib sagte halblaut:
    »Wieder einer hineingegangen! Niemand hindert die Leute anzufahren!«
    Doch vom Dorfe her kam eine neue Schar und Levaque, der, gefolgt von seinem Weibe und von Bouteloup, an der Spitze marschierte, schrie:
    »Tod den Belgiern! Keine Fremden bei uns! Tod! Tod!«
    Alle stürzten hinzu; Etienne mußte ihnen Einhalt gebieten. Er hatte sich dem Kapitän genähert, einem hochgewachsenen, schmächtigen jungen Manne von kaum achtundzwanzig Jahren, mit verzweifeltem, aber entschlossenem Gesichte. Er erklärte ihm die Dinge, suchte, ihn zu gewinnen, und beobachtete die Wirkung seiner Worte. Wozu ein unnützes Gemetzel wagen? Waren denn die Bergleute nicht in ihrem Rechte? Alle Menschen seien Brüder, und man müsse sich vertragen. Bei dem Worte »Republik« machte der Kapitän eine nervöse Handbewegung. Er bewahrte seine militärische Schroffheit und sagte plötzlich:
    »Platz da! Zwingen Sie mich nicht, meine Pflicht zu tun!«
    Dreimal wiederholte Etienne seinen Versuch. Hinter ihm murrten die Kameraden. Es ging das Gerücht, daß Herr Hennebeau in der Grube sei, und man sprach davon, ihm mit dem Kopfe voraus hinabzuschicken, um zu sehen, ob er selbst die Kohle brechen werde. Aber das Gerücht war falsch; es waren nur Negrel und Dansaert da, die einen Augenblick an einem Fenster des Aufnahmesaales sichtbar waren. Der Oberaufseher stand hinten, außer Fassung seit seinem Abenteuer mit der Frau Pierron, wahrend der Ingenieur mutig seine Äuglein über die Menge schweifen ließ, lächelnd in seiner spöttischen Geringschätzung, die er für die Menschen und für die Dinge hatte. Als in der Menge sich ein Gejohle gegen sie erhob, verschwanden sie vom Fenster, und man sah an ihrer Stelle nur mehr das weiße Gesicht Suwarins. Er hatte eben Dienst; er hatte seit Beginn des Streiks seine Maschine keinen Tag verlassen, sprach sehr wenig, versank immer mehr in eine fixe Idee, deren stählerner Nagel auf dem Grunde seiner blassen Augen zu funkeln schien.
    »Platz da!« wiederholte der Kapitän laut. »Ich will nichts hören; ich habe den Befehl, die Grube zu bewachen, und ich werde sie bewachen... Drängt nicht auf meine Leute ein, sonst werde ich euch zurückzujagen wissen.«
    Trotz der Festigkeit seiner Stimme war er bleich und immer unruhiger angesichts der fortwährend anwachsenden Menge der Bergleute. Zu Mittag sollte er abgelöst werden; doch weil er fürchtete, sich bis dahin nicht halten zu können, hatte er soeben einen Stößerjungen nach Montsou gesendet, um Verstärkung zu verlangen.
    Lautes Geschrei antwortete ihm.
    »Tod den Fremden! Tod den Belgiern! Wir wollen die Herren im eigenen Hause sein!«
    Etienne wich trostlos zurück. Es war aus; es blieb nichts anderes übrig, als sich zu schlagen und zu sterben. Er hielt die Kameraden nicht länger zurück; die Bande wälzte sich bis zu der kleinen Truppe heran. Es waren ihrer fast vierhundert; die Nachbardörfer leerten sich; die Leute kamen im Eilschritt herbei. Alle stießen den nämlichen Schrei aus. Maheu und Levaque sagten wütend den Soldaten:
    »Geht weg! Wir haben nichts gegen euch! Geht weg!«
    »Es geht euch nichts an!« fügte die Maheu hinzu. »Laßt uns unsere Angelegenheiten selber austragen.«
    Die Levaque -- hinter ihr -- schrie noch heftiger:
    »Müssen wir euch erst auffressen, um hineinzukommen? Man bittet euch, den Platz zu räumen!«
    Man hörte sogar die dünne Stimme Lydias, die sich mit Bebert in das dichteste Gewühl gedrängt hatte, in schrillem Tone sagen:
    »Diese Wurstsoldaten!«
    Katharina stand einige Schritte abseits und schaute und hörte, völlig betroffen von diesen neuen Tumulten, in die ihr Mißgeschick sie hineingeschleudert hatte. Litt sie nicht ohnehin schon zuviel? Was hatte sie denn verbrochen, daß das Unglück sie nicht zur Ruhe kommen ließ? Noch gestern hatte sie nichts von den Wutausbrüchen des Streiks begriffen; sie dachte, wenn man seine Maulschellen habe, sei es unnötig, andere zu suchen; jetzt aber schwoll ihr Herz von einem Bedürfnis zu hassen; sie erinnerte sich, was Etienne ehemals bei den Abendzusammenkünften erzählte; suchte zu verstehen, was er jetzt den Soldaten sagte. Er nannte sie seine Kameraden; er erinnerte sie, daß auch sie aus dem Volke seien und daher zum Volke halten müßten, um es gegen die Ausbeuter des Elends zu schützen.
    Doch in der Menge entstand jetzt ein heftiges Drängen und Stoßen, und ein altes Weib stürzte hervor. Es war die Brulé, furchtbar abgemagert, Hals

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