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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Wetter war schön geworden; es herrschte heller Sonnenschein, dessen Wärme -- obgleich man erst im Februar war -- die Spitzen des Flieders grün färbte. Im Fabrikhofe waren alle Fensterläden geöffnet; neues Leben schien in das weite Gebäude einzuziehen. Es kamen von dort sehr gute Nachrichten; es hieß, die Herren seien sehr betrübt über die Katastrophe und gekommen, den verirrten Arbeitern ihre väterlichen Arme zu öffnen. Jetzt, nachdem der Streich geführt war und zwar stärker, als sie gewollt, widmeten sie sich mit voller Hingebung dem Rettungswerke und trafen -- allerdings etwas spät -- ganz vortreffliche Maßnahmen. Vor allem entließen sie die belgischen Arbeiter und machten großen Lärm von diesem ihren Leuten bewilligten Zugeständnisse. Dann ließen sie die militärische Besatzung der Gruben aufheben, die übrigens von den zu Boden geschmetterten Bergleuten nicht mehr bedroht waren. Sie setzten es auch durch, daß Stillschweigen beobachtet wurde wegen der vom Hügel der Voreuxgrube verschwundenen Schildwache. Man hatte die ganze Gegend durchsucht, ohne die Leiche oder das Gewehr zu finden; man entschloß sich, den Soldaten als fahnenflüchtig zu betrachten, wenngleich man ein Verbrechen vermutete. Sie bemühten sich, die Ereignisse in jeder Hinsicht milder darzustellen; denn sie hatten angst vor dem kommenden Tag und hielten es für gefährlich einzugestehen, mit welcher unwiderstehlichen Wildheit die Menge hausen würde, wenn sie einmal gegen das morsche Gebälk der alten Welt losgelassen wäre. Dieses Versöhnungswerk hinderte sie übrigens nicht, reine Verwaltungsgeschäfte abzuwickeln; man hatte Herrn Deneulin wieder im Fabrikhofe erscheinen sehen, wo er eine Begegnung mit Herrn Hennebeau hatte. Die Verhandlungen wegen Ankaufes der Vandamegrube wurden wiederaufgenommen, und man versicherte, daß Deneulin das Angebot der Verwaltungsräte annehme.
    Ganz besonders brachten die Gegend in Aufregung große, gelbe Anschlagzettel, welche die Verwaltung in Menge an die Mauern schlagen ließ. Man las darauf in sehr großer Schrift die folgenden wenigen Zeilen:
    »Arbeiter von Montsou!
    Wir wollen nicht, daß die Verirrungen, deren traurige Folgen ihr in den jüngsten Tagen gesehen habt, die gutgesinnten und vernünftigen Arbeiter ihrer Existenzmittel berauben. Wir werden am Montagmorgen alle Gruben wieder eröffnen, und wenn die Arbeit wiederaufgenommen ist, werden wir sorgfältig und wohlwollend prüfen, wie die Lage verbessert werden kann. Wir werden alles tun, was recht und möglich ist.«
    An einem einzigen Vormittag zogen zehntausend Bergleute an diesen Anschlagzetteln vorüber. Kein einziger sprach ein Wort; viele schüttelten die Köpfe; andere gingen mit schleppenden Schritten weiter, ohne daß eine Falte in ihrem unbeweglichen Gesicht gezuckt hätte.
    Bisher hatte das Dorf der Zweihundertundvierzig hartnäckig in seinem trotzigen Widerstande ausgeharrt. Es schien, als habe das Blut der Kameraden, das den Schmutz der Grube gerötet, den übrigen den dahinführenden Weg verrammelt. Kaum zehn Mann waren angefahren. Pierron und einige Verräter seines Schlages, deren Ein- und Ausfahrt man mit trotziger Miene, aber ohne eine Bewegung und ohne eine Drohung mit ansah. Der Anschlagzettel an der Kirchenmauer wurde mit dumpfem Mißtrauen aufgenommen. In ihm war nichts von den zurückgestellten Arbeitsbüchern erwähnt; weigerte sich die Gesellschaft etwa, sie zurückzunehmen? Die Furcht vor der Vergeltung, die brüderliche Auflehnung gegen Entlassung der zumeist bloßgestellten Kameraden bestärkte sie alle in ihrer Hartnäckigkeit. Die Sache sei verdächtig, sagten sie; man müsse sehen, was daraus werden solle, und werde anfahren, wenn die Herren sich offen erklären. Eine drückende Stille lag auf den niedrigen Häusern; der Hunger war nichts mehr; alle konnten sterben, seitdem der gewaltsame Tod über die Dächer hinweggefahren.
    Das Haus der Maheu besonders lag finster und stumm in seiner düsteren Trauer. Seitdem die Maheu ihren Mann zu Grabe getragen, hatte sie den Mund nicht mehr geöffnet. Nach dem Kampfe hatte sie geschehen lassen, daß Etienne die halb tote, über und über mit Schmutz bedeckte Katharina in das Elternhaus zurückführte; als sie sie vor dem jungen Manne entkleidete, um sie zu Bett zu bringen, glaubte sie einen Augenblick, daß auch ihre Tochter mit einer Kugel im Leibe zurückgekehrt sei, denn am Hemde zeigten sich große Blutflecke. Aber sie begriff alsbald: es war der Strom

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