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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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demselben Augenblicke wurde die Mouquette von zwei Kugeln im Bauche getroffen. Sie hatte die Soldaten anlegen sehen und sich in ihrer Gutmütigkeit mit einer instinktiven Bewegung vor Katharina geworfen und ihr zugerufen, acht zu haben; sie hatte einen lauten Schrei ausgestoßen und war rücklings niedergefallen. Etienne war herbeigeeilt, wollte sie aufheben und hinwegtragen; doch sie gab ihm mit einer Gebärde zu verstehen, daß alles aus sei. Während ihres Todesröchelns hörte sie nicht auf, ihm und Katharina zuzulächeln, als sei sie froh, die beiden zusammen zu sehen, wo sie von hinnen schied.
    Alles schien vorüber; der Kugelsturm hatte sich weithin verloren, bis zu den Häuserreihen des Arbeiterdorfes, als ein letzter, einzelner, verspäteter Schuß krachte. Mitten im Herzen getroffen, drehte sich Maheu um sich selbst und fiel mit dem Gesichte in eine schwarze Pfütze.
    Frau Maheu bückte sich in sinnloser Verblüffung zu ihm nieder.
    »He, Alter, erhebe dich! Es ist doch nichts, wie?«
    Da sie wegen Estelles die Hände nicht frei hatte, mußte sie das Kind unter einen Arm schieben, um den Kopf ihres Mannes umwenden zu können.
    »Sprich, wo tut es dir weh?«
    Seine Augen blickten hohl, der Mund war mit blutigem Schaum gefüllt. Sie begriff, er war tot. Da blieb sie denn im Schmutze sitzen, das Kind unter dem Arme wie ein Paket, mit blöder Miene ihren toten Mann anstarrend.
    Die Grube war jetzt frei. Mit einer nervösen Handbewegung hatte der Kapitän sein von einem Steinwurfe zerrissenes Käppi abgenommen und wieder aufgesetzt; er bewahrte seine bleiche Starrheit angesichts des Unglücks seines Lebens, während seine Leute stumm ihre Gewehre luden. Man konnte die erschrockenen Gesichter von Negrel und Dansaert am Fenster des Aufnahmesaales sehen. Hinter ihnen stand Suwarin, die Stirn von einer tiefen Falte durchfurcht, die gleichsam ein drohender Stempel seiner finsteren Gedanken war. Auf der andern Seite des Horizontes stand am Rande der Hochebene Bonnemort noch immer unbeweglich, mit einer Hand auf seinen Stock gestützt, während er die andere an die Augenbrauen legte, um besser zu sehen, wie man da unten die Seinen erwürgte. Die Verwundeten heulten; die Toten erstarrten in gebrochenen Stellungen auf dem vom Tauwetter aufgeweichten Boden, beschmutzt von dem kohlenschwarzen Schmutz der Pfützen, die unter dem schmelzenden Schnee zum Vorschein kamen. Mitten unter diesen kleinen, durch das Elend abgemagerten Menschenleichen lag riesengroß und jämmerlich das Aas des toten Pferdes Trompette.
    Etienne war nicht umgekommen. Er wartete noch immer neben Katharina, die von Müdigkeit und Herzleid niedergeworfen worden, als plötzlich eine schrille Stimme ihn zusammenfahren ließ. Es war der Abbé Ranvier, der von seiner Messe zurückkehrte und mit der frommen Wut eines Propheten beide Arme erhebend, den Zorn Gottes auf die Mörder herabrief. Er kündigte die Zeit der Gerechtigkeit an, die baldige Ausrottung dieses Spießbürgertums durch das Himmelsfeuer, welches das Maß seiner Verbrechen voll machte, indem es die Arbeiter und die Ausgestoßenen dieser Welt niedermetzeln ließ.
     

Teil 7

Erstes Kapitel
    Die in Montsou gefallenen Schüsse wurden in einem furchtbaren Widerhall bis Paris gehört. Seit vier Tagen waren alle regierungsfeindlichen Zeitungen entrüstet und brachten haarsträubende Schilderungen: fünfundzwanzig Verwundete, vierzehn Tote, darunter zwei Kinder und drei Frauen; außerdem waren Gefangene gemacht. Levaque war eine Art Held geworden; man erzählte sich, daß er dem Untersuchungsrichter eine Antwort von wahrhaft antiker Würde gegeben habe. Das Kaiserreich, von diesen wenigen Kugeln schwer getroffen, hüllte sich in das Schweigen der Allmacht und war sich des Ernstes der ihm zugefügten Schädigung nicht bewußt. Es war einfach ein bedauerlicher Zusammenstoß; eine Sache, die sich weit unten im schwarzen Lande verlief, fern von dem Pariser Pflaster, wo die öffentliche Meinung gemacht wurde. Man werde es bald vergessen. Die Gesellschaft erhielt auf halbamtlichen Wege die Weisung, die Geschichte zu unterdrücken und ein Ende zu machen mit diesem Streik, dessen ärgerlich lange Dauer eine soziale Gefahr zu werden drohe.
    Man sah denn auch schon am Mittwoch morgen drei Verwaltungsräte in Montsou eintreffen. Das Städtchen, das in schwerem Mißbehagen bis jetzt nicht gewagt hatte, seine Genugtuung über das Gemetzel zu zeigen, atmete auf und genoß die Freude, endlich gerettet zu sein. Das

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