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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Hoffnung verdoppelte die Angst; alle Herzen schlugen stürmischer. Ein rasch anwachsendes Gewölk am Horizonte beschleunigte die Dämmerung; ein düsterer Abend breitete sich über die Trümmer, welche der Sturm der Erde ausgestreut. Seit sieben Stunden standen die Leute da, ohne sich zu rühren und ohne zu essen.
    Plötzlich wurden die Ingenieure, als sie sich vorsichtig näher wagten, durch eine letzte Erschütterung der Erde in die Flucht gejagt. Unterirdische Schläge wurden hörbar; eine ungeheure Artillerie beschoß den Abgrund. Auf der Oberfläche stürzten die letzten noch stehenden Gebäude zusammen. Zuerst wurden die Trümmer des Sichtungsschuppens und des Aufnahmesaales wie von einem Wirbelwinde davongetragen. Dann barst das Kesselhaus und verschwand. Jetzt kam die Reihe an den viereckigen Turm, in dem die Schöpfpumpe ächzte; er fiel nach vorn zu Boden wie ein Mensch, den eine Kanonenkugel niedergeworfen. Und dann bot sich ein fürchterlicher Anblick: man sah die Maschine, die zerrissen, mit ausgereckten Gliedern auf ihrem Unterbau ruhte, gegen den Tod ankämpfen: sie setzte sich in Bewegung, streckte ihre Treibstange --- ihr Riesenknie --- aus, wie um sich zu erheben; doch sie mußte sterben, sie ward zermalmt und verschlungen. Nur der dreißig Meter hohe Schlot stand noch aufrecht, wenngleich geschüttelt wie ein Mast im Sturme. Man glaubte schon, er werde sich zerbröckeln und als Staubwolke auffliegen, als er plötzlich mit einem Ruck gänzlich versank, von der Erde eingesogen, geschmolzen wie eine Riesenkerze; nichts ragte aus der Erde hervor, nicht einmal die Spitze des Blitzableiters. Es war aus; das böse Ungetüm, das in der Grube hockte und sich mit Menschenfleisch nährte, ließ nicht mehr seinen lauten, langen Atem hören. Der Voreuxschacht war vollständig im Abgrunde versunken.
    Heulend floh die Menge. Die Weiber flüchteten mit den Händen vor den Augen. Der Schrecken jagte die Männer wie ein Häuflein welker Blätter. Man wollte nicht schreien und schrie dennoch auf mit geschwellter Kehle und fuchtelnden Armen angesichts des ungeheuren Loches, das sich aufgetan hatte. Dieser Krater -- dem eines erloschenen Vulkans gleich -- hatte eine Tiefe von fünfzehn Metern und dehnte sich von der Straße bis zum Kanal aus, mindestens vierzig Meter breit. Der ganze Werkshof war den Gebäuden nachgefolgt: die riesigen Gerüste, die Brücken mit ihren Schienen, ein vollständiger Zug, drei Waggons, den Holzvorrat ungerechnet, ein ganzer Wald von geschnittenen Stangen -- verschlungen, als wären es Strohhalme. Am Grunde dieses Loches sah man nur ein Wirrsal von Balken, Ziegeln, Eisen, Mörtel, greuliche Reste, aufgehäuft, durcheinandergeworfen, beschmutzt in dieser Tollwut der Katastrophe. Und das Loch rundete sich noch weiter aus; von den Rändern gingen Risse aus, verlängerten sich quer durch die Felder. Ein solcher Spalt reichte bis zur Schenke Rasseneurs, deren Stirnwand geborsten war. Sollte etwa das ganze Dorf zugrunde gehen? Wie weit mußte man fliehen, um sicher zu sein an diesem Schreckensabend, unter diesem bleischweren Gewölk, das ebenfalls die Welt erdrücken zu wollen schien?
    Doch Negrel stieß jetzt einen Schmerzensschrei aus und Herr Hennebeau, über dessen Antlitz die hellen Zähren liefen, wich noch weiter zurück. Das Unglück war noch nicht vollständig; einer der Kanaldämme brach, und der Kanal ergoß sich plötzlich als schäumende Masse in einen der Risse. Er verschwand daselbst, stürzte hinein wie ein Wasserfall in ein tiefes Tal. Die Grube soff den Fluß; die Flut ersäufte die Galerien auf Jahre hinaus. Bald füllte sich der Krater; wo früher der Voreux gewesen, war jetzt ein See schmutzigen Wassers, jenen Seen gleichend, unter denen die verwunschenen Städte schlafen. Eine Stille des Entsetzens war eingetreten; man hörte nichts mehr als den Sturz dieses Wassers, das in den Eingeweiden der Erde brauste.
    Jetzt erhob sich Suwarin auf dem Hügel, der gleichfalls gewankt hatte. Er hatte Frau Maheu und Zacharias erkannt, die schluchzend vor diesem Einsturze standen, der so schwer auf die Köpfe der Unglücklichen drückte, die unten dem Tode geweiht waren. Er warf seine letzte Zigarette weg und entfernte sich -- ohne einen Blick nach rückwärts -- in der finsteren Nacht. Sein Schatten wurde immer kleiner und verlor sich schließlich in der Finsternis. Er ging fort, weit, weit, ins Unbekannte. Er ging mit ruhiger Miene ans Werk der Vernichtung; überallhin, wo es Dynamit

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