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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Eingang des Schachtes auf einen Balken und rührte sich nicht bis zum Abend. Wenn ein Mann heraufstieg, erhob sie sich und befragte ihn mit den Augen: Nichts? Nein, nichts. Sie setzte sich wieder hin und wartete weiter ohne ein Wort mit hartem, verschlossenem Gesichte. Auch Johannes hatte, als er sein Versteck aufgestöbert sah, herumzuschleichen begonnen mit der Verstörtheit eines Raubtieres, dessen Beute durch einen Spürhund verraten worden. Er dachte an den kleinen Soldaten, der unter den Felsen lag; er fürchtet, man könne den Schläfer dort in seiner Ruhe stören. Allein jener Teil der Grube war überschwemmt, und die Nachforschungen richteten sich mehr nach links, nach der Westgalerie. Anfänglich war auch Philomene gekommen, um Zacharias zu begleiten, der mit zur Rettungsmannschaft gehörte; dann fand sie es langweilig, ohne Grund und ohne Nutzen zu frieren; sie blieb zu Hause und verbrachte ihre Tage als lässiges, für alles gleichgültiges Weib, hustend vom Morgen bis zum Abend. Zacharias hingegen hatte kein Leben mehr; er würde die Erde weggefressen haben, um seine Schwester wiederzufinden. In seinen Träumen sah und hörte er sie, durch den Hunger ganz abgemagert, die Kehle zerrissen von den unausgesetzten, verzweifelten Hilferufen. Zweimal hatte er ohne Wahl und Regel nachgraben wollen, indem er behauptete, da müsse es sein, er fühle es. Der Ingenieur ließ ihn nicht mehr hinabsteigen; er entfernte sich nicht mehr von diesem Schachte, von dem er verjagt worden; er hatte nicht die Ruhe, neben seiner Mutter sitzend zu warten; ein Bedürfnis zu handeln trieb ihn unablässig umher.
    So war der dritte Tag herangekommen. Negrel war verzweifelt und beschloß, am Abend die Rettungsarbeit einzustellen. Als er mittags nach dem Imbiß mit seinen Leuten zurückkehrte, um einen letzten Versuch zu machen, sah er zu seiner großen Überraschung Zacharias ganz rot, gestikulierend und schreiend aus der Grube hervorkommen.
    Sie ist unten, sie hat mir geantwortet!« schrie er. »Kommt! Kommt!«
    Er war trotz der Abwehr des Wächters die Leitern hinabgeschlüpft und versicherte, daß man unten im ersten Gang der Wilhelmader gepocht habe.
    »Aber wir sind ja dort zweimal vorübergekommen«, bemerkte Negrel ungläubig. »Doch wir wollen sehen.«
    Frau Maheu hatte sich erhoben, und man mußte sie gewaltsam hindern hinabzusteigen. Sie wartete am Rande des Schachtes und blickte starr in die Finsternis des Loches hinunter.
    Unten führte Negrel selbst drei Schläge in größeren Abständen, dann drückte er sein Ohr an die Kohlenwand und gebot den Arbeitern das tiefste Schweigen. Er vernahm keinerlei Geräusch und schüttelte den Kopf; augenscheinlich hatte der arme Junge geträumt. Zacharias wurde wütend und pochte seinerseits an die Wand; dann horchte er von neuem, seine Augen glänzten, ein freudiges Beben schüttelte seine Glieder. Jetzt machten die anderen Arbeiter den Versuch, die einen nach den anderen; alle vernahmen sehr deutlich die von fernher kommende Antwort. Der Ingenieur war erstaunt; er drückte noch einmal das Ohr an die Wand und vernahm schließlich ein Geräusch von der Leichtigkeit der Luft, ein kaum hörbares gleichmäßiges Rollen, der wohlbekannte Takt des Aufrufes der Bergleute, den sie an die Kohlenwand klopfen, wenn sie in Gefahr sind. Die Kohle vermittelt den Ton sehr weit und mit der Klarheit des Kristalls. Ein anwesender Aufseher schätzte die Dicke des Blocks, die sie von den verunglückten Kameraden trennte, auf nicht weniger als fünfzig Meter. Und doch brach sogleich helle Freude aus unter den Arbeitern, als könnten sie ihnen schon die Hände reichen. Negrel mußte augenblicklich die Annäherungsarbeiten in Angriff nehmen.
    Als Zacharias oben seine Mutter erblickte, fielen sich beide in die Arme.
    »Freut euch nicht zu früh«, sagte grausam Frau Pierron, die an diesem Tage aus Neugier einen Spaziergang nach der Grube gemacht hatte. »Wenn Katharina doch nicht unten wäre, müßtet ihr euch nachher grämen.«
    Das war richtig, Katharina war vielleicht anderswo.
    »Laß mich in Frieden!« schrie Zacharias wütend. »Sie ist da, ich weiß es.«
    Frau Maheu hatte sich wieder gesetzt und wartete stumm mit unbeweglichem Gesichte.
    Als die Nachricht in Montsou eintraf, liefen die Leute herbei. Man sah nichts, aber man blieb doch da; man mußte die Neugierigen in angemessener Entfernung halten. Unten wurde Tag und Nacht gearbeitet. Aus Besorgnis, daß man auf ein Hindernis stoßen könne, hatte

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