Germinal
Meeres --- dieses Meeres mit seinen der Oberwelt unbekannten Stürmen und Schiffbrüchen --- in breiten Strömen, wie aus einer Schleuse, hinabstürzten. Er stieg noch tiefer hinab, verloren inmitten dieser sich noch immer erweiternden Höhlen, gepeitscht und im Kreise gedreht durch den Wassersturz, so schlecht beleuchtet durch das einem roten Stern gleichende Lampenlicht, daß unter ihm hinabglitt, daß er in der Ferne, im Spiel der großen, beweglichen Schatten Straßen und Wegkreuzungen einer zerstörten Stadt wahrzunehmen glaubte. Da war keine menschliche Arbeit mehr möglich. Er bewahrte nur noch eine Hoffnung: die gefährdeten Menschen da unten retten zu können. Je tiefer er hinabstieg, desto lauter hörte er das Geheul anwachsen. Er mußte haltmachen, ein unübersteigliches Hindernis verrammelte den Schacht, eine Anhäufung von gebrochenen Pfosten und Brettern, die geborstenen Holzwände des Schachtes, wirr durcheinandergemengt mit Resten der Pumpleitung. Als er beklommenen Herzens dieses grauenhafte Wirrsal lange betrachtete, verstummte mit einem Male das Geheul da unten. Ohne Zweifel waren die Unglücklichen vor dem reißend anwachsenden Wasser in die Galerien geflohen, wenn das Wasser ihnen nicht schon in den Mund gedrungen war.
Er mußte sich entschließen, das Signal zur Auffahrt zu geben. Dann ließ er wieder haltmachen. Er befand sich unter dem betäubenden Eindruck dieses plötzlichen Unglücks, dessen Ursache er nicht begreifen konnte. Er wollte sich Aufklärung verschaffen und untersuchte die wenigen Stücke der Verzimmerung, die noch hielten. Zu seiner Überraschung fand er Risse und Einschnitte, die sich in bestimmten Zwischenräumen wiederholten. Da sein Lämpchen in der riesigen Nässe zu erlöschen drohte, tastete er mit den Fingern und erkannte genau die Spuren der Säge und des Bohrers, ein niederträchtiges Zerstörungswerk. Augenscheinlich war diese Katastrophe mit Absicht herbeigeführt worden. Er war wie versteinert; da krachten die Hölzer, der letzte Rest stürzte samt den Rahmen hinab und drohte ihn selbst mitzureißen. Da war sein Mut zu Ende. Seine Haare sträubten sich, wenn er an den Menschen dachte, der dies verübt; er erschauerte in der grauenhaften Furcht vor dem Bösen, als ob der Mensch mit seiner unheimlichen Gewalt noch da sei, in dem finstern Schlunde, um seine ungeheuerliche Missetat zu vollenden. Er schrie auf und riß mit wütender Hand an der Signalleine. Es war übrigens hohe Zeit, denn er sah hundert Meter höher, daß auch die obere Verzimmerung in Bewegung geraten war, die Fugen öffneten sich, das geteerte Werg fiel heraus, das Wasser brach hervor. Es war nur mehr die Frage einer Stunde, daß die ganze Verzimmerung des Schachtes in Trümmer ging.
Oben ward Negrel von dem auf das äußerste beängstigten Herrn Hennebeau erwartet.
»Nun, was ist's?« fragte er.
Doch der Ingenieur blieb stumm, seine Kräfte drohten ihn zu verlassen.
»Es ist nicht möglich!... Man hat dergleichen nie gesehen! Hast du untersucht?«
Er nickte ja und warf dabei mißtrauische Blicke nach allen Seiten. Er wollte in Gegenwart der Aufseher, die zuhörten, keine Erklärungen geben und führte den Oheim zehn Meter weit beiseite. Dies schien ihm noch nicht fern genug, und er wich noch mehr zurück. Dann erzählte er ihm sehr leise, ins Ohr geflüstert, den Anschlag, wie die Planken durchbohrt und durchsägt, die Grube abgeschlachtet worden, daß sie in den letzten Zügen lag. Der Direktor war bleich geworden und dämpfte gleichfalls die Stimme in dem instinktiven Bedürfnisse, mit dem von großen Ausschweifungen und großen Verbrechen nur in aller Stille gesprochen wird. Es war nicht nötig, vor den zehntausend Arbeitern von Montsou Furcht zu zeigen; man werde später sehen, was zu tun sei. Sie fuhren fort zu flüstern, niedergeschmettert von dem Gedanken, daß ein Mensch den Mut gefunden habe da hinabzusteigen, wo er sozusagen in der Luft hing, und zwanzigmal sein Leben zu wagen, um dieses furchtbare Werk zu verrichten. Sie begriffen nicht diese Tollkühnheit in der Zerstörung; sie wollten an das Offenkundige nicht glauben, wie man an den Schilderungen zweifelt, die von berühmten Ausfällen aus belagerten Städten erzählen oder von der Flucht von Gefangenen, die durch ein dreißig Meter hoch gelegenes Fenster entkommen sind.
Als Herr Hennebeau sich den Aufsehern näherte, ward sein Gesicht von einem nervösen Zucken gefurcht. Er machte eine verzweifelte Gebärde und gab den Befehl,
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