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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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die Rettung der verschütteten Arbeiter gesetzt wurde. Negrel war beauftragt, eine äußerste Anstrengung zu versuchen, und es fehlte ihm dabei nicht an hilfreichen Armen; in einem Drang der Brüderlichkeit boten alle Bergleute sich ihm an. Sie vergaßen den Streik, dachten nicht an die Bezahlung; da es sich darum handelte, Kameraden zu befreien, die in Lebensgefahr schwebten, wollten sie nur ihre Haut wagen und kümmerten sich nicht darum, ob man ihnen etwas gab oder nicht. Alle waren da mit ihren Werkzeugen in zitternder Erwartung, wo man das Rettungswerk in Angriff nehmen solle. Viele waren noch krank vom Schrecken nach dem Unglück, von einem nervösen Zittern geschüttelt, mit kaltem Schweiß bedeckt, eine Beute fortwährender Schreckensgesichter. Aber sie erhoben sich von ihrem Lager und zeigten sich als die Eifrigsten im Kampfe mit der Erde, als hätten sie an ihr Vergeltung zu üben. Unglücklicherweise begann die Verlegenheit gleich bei der ersten Frage: Was war zu tun? Wie sollte man hinabgelangen? Auf welcher Seite sollte der Angriff auf das Gestein beginnen?
    Negrel war der Meinung, daß kein einziger der Unglücklichen mehr am Leben sei. Die fünfzehn Leute waren sicherlich umgekommen, ertrunken oder erstickt. Allein bei diesen Grubenkatastrophen war es die Regel anzunehmen, daß die verschütteten Leute noch am Leben seien. Er traf also in diesem Sinne seine Maßnahmen. Die erste Frage, die er sich vorlegte, war die Ermittelung des Punktes, wohin sie hatten flüchten mögen. Die Aufseher und die alten Bergleute, die er zu Rate zog, waren einhellig folgender Meinung: vor dem steigenden Wasser hatten sich die Kameraden von Galerie zu Galerie in die Höhe geflüchtet, bis zu den höchsten Schlägen, so daß sie ohne Zweifel in einem der höchst gelegenen Gänge eingeschlossen waren. Dies stimmte übrigens mit den Berichten des Vater Mouque überein, dessen verworrene Erzählung sogar die Annahme gestattete, daß in der Kopflosigkeit der Flucht die Schar sich in kleine Gruppen aufgelöst habe, die sich nach allen Stockwerken verteilten. Doch über die Frage, wo und welche Rettungsversuche möglich seien, gingen die Ansichten der Aufseher sogleich auseinander. Indem die der Erdoberfläche am nächsten gelegenen Gänge in einer Tiefe von hundertfünfzig Metern lagen, konnte man nicht daran denken, einen Schacht abzuteufen. Es blieb daher nur Réquillart als einziger Zugang, als einziger Punkt, von dem aus man sich nähern konnte. Das Schlimmste war, daß die alte Grube, gleichfalls überflutet, mit dem Voreux nicht mehr in Verbindung war; über dem Spiegel der unterirdischen Wasser waren nur mehr Bruchstücke von Galerien frei, die mit dem ersten Absatze zusammenhingen. Das Ausschöpfen mußte Jahre in Anspruch nehmen; der vernünftigste Entschluß war, die Galerien zu untersuchen, um zu sehen, ob diese nicht an die überschwemmten Gänge stießen, an deren Ende man die in Not geratenen Grubenarbeiter vermutete. Bevor man logischerweise zu diesem Schlusse gelangte, hatte man lange hin und her gestritten, um eine Menge von undurchführbaren Vorschlägen zu verwerfen.
    Fortan durchsuchte Negrel die staubigen Archive, und als er die alten Pläne der beiden Gruben entdeckt hatte, studierte er sie und stellte die Punkte fest, wo das Rettungswerk versucht werden müsse. Diese Jagd erhitzte ihn allmählich; trotz seiner spöttischen Gleichgültigkeit für Menschen und Dinge ward er jetzt von einem fieberhaften Eifer der Hingebung ergriffen. Als man in Réquillart hinabzusteigen versuchte, ergaben sich die ersten Schwierigkeiten; man mußte die Hindernisse hinwegräumen, welche die Mündung des Schachtes verlegten, den Spierlingbaum fällen, die Schlehen- und Hagedornsträucher ausrotten, die schadhaften Leitern ausbessern. Dann begann mit vorsichtigem Tasten die Einfahrt. Der Ingenieur, der mit zehn Arbeitern hinabstieg, ließ diese mit ihren eisernen Geräten an gewisse Stellen der Ader klopfen, die er ihnen bezeichnete; und in der tiefen Stille drückte jeder ein Ohr an die Wand und horchte, ob auf das Klopfen keine Erwiderung käme; doch vergebens durcheilte man alle gangbaren Galerien, kein Echo antwortet. Die Verlegenheit wuchs: an welcher Stelle sollte die Schicht angegriffen werden? Wem sollte man sich zu nähern suchen? Schien doch niemand da zu sein. Sie suchten indes hartnäckig weiter mit wachsender Beängstigung.
    Vom ersten Tage an erschien Frau Maheu schon am Morgen zu Réquillart. Sie setzte sich am

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