Germinal
Die Kesselfeuer waren ohne Zweifel eben erst ausgegangen, denn der aus roten Ziegeln erbaute hohe Schlot sandte leichte Rauchwölkchen zu dem düsteren Himmel empor, während der Wetterhahn des Schachtturmes im Winde krächzte und ein schrilles Kreischen vernehmen ließ, die einzige trübselige Stimme in diesen dem Tode geweihten, weitläufigen Bauten.
Um zwei Uhr hatte sich noch nichts gerührt. Herr Hennebeau, Negrel und andere Ingenieure, die herbeigeeilt waren, bildeten vor der Menge eine besondere Gruppe von schwarzen Röcken und Hüten. Auch sie wollten sich nicht entfernen; ihre Beine waren von der Müdigkeit wie gebrochen; sie fieberten und waren krank, weil sie machtlos einem solchen Unglück beiwohnen mußten; sie tauschten nur wenige Worte im Flüstertone aus, als stünden sie am Bette eines Sterbenden. Die obere Verdämmung mußte vollends zusammengebrochen sein; man hörte plötzliche, laute, abgerissene Geräusche, wie wenn Gegenstände in die Tiefe stürzen; dann trat wieder tiefe Stille ein. Die Wunde ward immer größer; der Einsturz, der unten begonnen hatte, rückte höher, näherte sich der Oberfläche. Eine nervöse Ungeduld hatte sich Negrels bemächtigt; er wollte sehen und wagte sich vor in der erschreckenden Leere, als ihn mehrere an den Schultern faßten. Wozu denn? Er konnte nichts verhindern. Ein alter Bergmann täuschte indessen die Wachsamkeit der Aufseher und lief zur Baracke; doch kehrte er sogleich ruhig zurück, er hatte nur seine Holzschuhe geholt.
Es schlug drei Uhr. Nichts regte sich. Ein Platzregen hatte die Menge durchnäßt, ohne daß sie zurückwich. Rasseneurs Hund bellte jetzt wieder. Um drei Uhr zwanzig Minuten erschütterte ein erster Stoß die Erde. Der Voreux erzitterte dabei, stand aber noch fest und aufrecht. Sogleich folgte ein zweiter Stoß, und ein langgedehnter Schrei entrang sich den offenen Mündern: der Sichtungsschuppen hatte zweimal geschwankt und war dann mit ungeheurem Krachen eingestürzt. Unter dem ungeheuren Druck brachen die Balken und rieben sich so gewaltig aneinander, daß ganze Funkengarben aufstoben. Von diesem Augenblicke an hörte die Erde nicht mehr auf zu zittern; Stöße folgten aufeinander, unterirdische Einstürze, begleitet von dem dumpfen Grollen eines feuerspeienden Vulkans. Der Hund in der Ferne bellte nicht mehr, sondern stieß ein klagendes Geheul aus, wie um die Schwankungen der Erde anzukündigen, die er kommen fühlte; und die Weiber und Kinder, all das Volk, das da schaute, konnte einen Jammerschrei nicht zurückhalten bei jedem Ruck, der sie hob. In weniger denn zehn Minuten war das Schieferdach des Schachtturmes eingestürzt; der Aufnahmesaal und der Maschinenraum zeigten Risse, die sich zu großen Breschen erweiterten. Dann verstummten die Geräusche, der Einsturz machte Halt, und es trat wieder tiefe Stille ein.
Etwa eine Stunde lang wurde der Voreux in dieser Weise in Stücke gerissen, wie von einem Barbarenheer bombardiert. Man schrie nicht mehr; der erweiterte Kreis von Zuschauern betrachtete die Geschehnisse. Unter den zuhauf liegenden Balken des Sichtungswerkes sah man zertrümmerte Karren und verbogene Trichter. Aber ganz besonders im Aufnahmesaale häuften sich die Trümmer mitten in einem Regen von Ziegeln, unter Mauerteilen, die in ganzen Stücken niedersanken und in Schutt zerfielen. Das eiserne Gebälk, welches die Spornräder trug, hatte sich geneigt und war halb eingesunken; eine Förderschale blieb daran hängen; oben baumelte das Ende einer abgerissenen Kette; außerdem gab es ein ganzes Durcheinander von Karren, gußeisernen Platten und Leitern. Durch einen seltsamen Zufall war die Lampenkammer verschont geblieben und zeigte links die hellen Reihen ihrer kleinen Lampen. Im Hintergrunde des jetzt offen liegenden Maschinenraumes sah man die Maschine fest auf ihrem gemauerten Unterbau ruhen; die kupfernen Bestandteile schimmerten; die großen, stählernen Glieder hatten das Aussehen von unverwüstlichen Muskeln; die ungeheure in der Luft eingebogene Treibstange glich dem mächtigen Knie eines Riesen, der in seiner gewaltigen Stärke ruhig da liegt.
Nachdem eine Stunde ohne neuerliche Erschütterung verflossen war, schöpfte Herr Hennebeau wieder Hoffnung. Die Bewegung des Erdreiches mußte jetzt zu Ende sein, man werde wenigstens die Maschinen und den Rest der Gebäude retten können. Aber er verbot noch immer jede Annäherung; er wollte noch eine halbe Stunde warten. Das Warten aber wurde unerträglich; die
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