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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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einen Augenblick stehen und betrachtete ein letztes Mal den jungen Mann mit ihren großen Augen, die von der grünlich schimmernden Durchsichtigkeit des Quellwassers waren und deren Kristallreinheit durch das schwarze Gesicht noch gehoben wurde. Sie lächelte und verschwand mit den anderen auf dem ansteigenden Wege, der zu dem Bergdorfe hinanführte.
    Die Herberge lag zwischen dem Dorfe und der Grube an der Kreuzung der beiden Wege. Es war ein zweistöckiger Ziegelbau, von oben bis unten mit Kalk getüncht, mit einem breiten, himmelblauen Saume um die Fenster. Eine viereckige Tafel über dem Tore trug in gelben Buchstaben die Inschrift: »Zum wohlfeilen Trunk« Rasseneurs Gastwirtschaft. Dahinter lag eine Kegelbahn, die eine lebende Hecke einschloß. Die Gesellschaft, die alles versucht hatte, um dieses zwischen ihre weiten Ländereien eingekeilte Stück Boden zu erwerben, war trostlos wegen dieser Gastwirtschaft, die auf freiem Felde, sozusagen am Eingange des Voreuxschachtes lag.
    »Treten Sie ein«, sagte Maheu nochmals zu Etienne.
    Die Gaststube war klein, von einer hellen Kahlheit mit ihren weißen Mauern, drei Tischen, zwölf Stühlen und ihrem Schanktisch von weißem Holze, der nicht größer war als ein Küchenschrank. Etwa zehn Schoppen waren aufgereiht, drei Likörflaschen, eine Wasserflasche, ein kleiner Zinkkasten mit zinnernem Hahn für das Bier. Nichts weiter: kein Bild, keine Tafel, kein Spieltisch. In dem blank gefirnißten gußeisernen Kamin brannte langsam ein Kohlenziegel; die Fliesen waren mit einer dünnen Lage Sand bestreut, welche die ewige Feuchtigkeit dieser regennassen Gegend aufsog.
    »Einen Schoppen!« bestellte Maheu bei einem starken, blonden Mädchen, der Tochter einer Nachbarin, die zuweilen die Gaststube hütete. --- »Ist Rasseneur da?«
    Das Mädchen drehte den Hahn des Bierfasses und erwiderte, der Wirt werde sogleich kommen. Langsam leerte in einem Zuge der Grubenarbeiter die Hälfte des Schoppens, um den Staub hinunterzuspülen, der ihm die Gurgel verlegte. Seinem Begleiter bot er nichts an. Ein einziger Gast war noch da; gleichfalls ein Grubenarbeiter, der beschmutzt und durchnäßt an einem Tische saß und still, nachdenklich sein Bier trank. Jetzt trat ein dritter ein, bestellte mit einer Gebärde sein Bier, trank es aus, zahlte und ging, ohne ein Wort gesprocken zu haben.
    Doch jetzt erschien ein dicker Mann von achtunddreißig Jahren mit einem gemütlichen Lächeln in dem glattrasierten, runden Gesichte. Es war Rasseneur, eine ehemaliger Häuer, den die Gesellschaft vor drei Jahren nach einem Streik entlassen hatte. Er war ein sehr guter Arbeiter und guter Redner; er stellte sich an die Spitze aller Beschwerden und wurde schließlich das Oberhaupt der Unzufriedenen. Seine Frau hielt einen Getränkeausschank gleich vielen Arbeiterfrauen; als er entlassen wurde, blieb er Gastwirt und wußte das nötige Geld zu finden, um eine Wirtschaft zu eröffnen, die er hart vor die Grube hinpflanzte gleichsam als Herausforderung gegen die Gesellschaft. Jetzt gedieh sein Haus, er ward ein Mittelpunkt und bereicherte sich an all dem Groll, den er seinen ehemaligen Kameraden nach und nach eingeblasen hatte.
    »Das ist der Bursche, den ich heute morgen angeworben habe«, erklärte Maheu sogleich. »Hast du eine Stube frei und willst du ihm auf einen halben Monat Kredit einräumen?«
    In Rasseneurs breitem Gesichte drückte sich sogleich ein großes Mißtrauen aus. Er musterte mit einem Blick Etienne und erwiderte, ohne das mindeste Bedauern zu bekunden:
    »Unmöglich; meine beiden Stuben sind besetzt.«
    Der junge Mann war auf diese Weigerung gefaßt; dennoch schmerzte sie ihn, und er war selbst erstaunt über den Verdruß, den ihm der Gedanke verursachte, sich wieder entfernen zu müssen. Doch er werde gehen, sobald er seine dreißig Sous habe, dachte er. Der Bergwerksarbeiter, der einsam an einem Tische getrunken hatte, war fort; andere kamen einzeln, um sich die Kehle reinzufegen, und gingen dann mit den nämlichen schaukelnden Schritten ihres Weges. Es war eine bloße Abspülung ohne Genuß und Leidenschaft, die stumme Befriedigung eines Bedürfnisses.
    »Also nichts Neues?« fragte der Wirt mit eigentümlicher Betonung Maheu, der in kleinen Schlucken sein Bier austrank.
    Dieser wandte den Kopf und sah, daß Etiennee allein da war.
    »Es hat wieder einen Streit gegeben«, sagte er. »Ja, wegen der Verholzung.«
    Er erzählte den Vorfall. Das Gesicht des Gastwirtes hatte sich gerötet; das

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