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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Blut schoß ihm in die Wangen und schien durch Haut und Augen hervorbrechen zu wollen. Endlich brach er los.
    »Wenn sie sich einfallen lassen, den Preis herabzusetzen, sind sie geliefert.«
    Etienne war ihm im Wege. Indes fuhr er in seinen Reden fort, wobei er ihm mißtrauische Blicke zuwarf. Dabei gab es Vorbehalte und Zweideutigkeiten; er sprach vom Direktor, Herrn Hennebeau, von dessen Frau, von dessen Neffen, dem kleinen Negrel, ohne sie zu nennen; er wiederholte, daß es nicht so fortdauern könne, daß es eines Tages in die Brüche gehen müsse. Das Elend sei zu groß; er nannte Fabriken, die den Betrieb einstellten, Arbeiter, die fortzogen. Seit einem Monate verschenke er täglich mehr als sechs Pfund Brot. Gestern habe man ihm erzählt, daß Herr Deneulin, der Eigentümer einer benachbarten Grube, nicht wisse, wie er den Schlag aushalten solle. Übrigens habe er aus Lille einen Brief voll beunruhigender Einzelheiten erhalten.
    »Der Brief kommt von der Person, die du eines Abends hier gesehen hast«, sagte er in gedämpftem Tone zu Maheu.
    Doch er ward unterbrochen. Seine Frau trat ein, ein großes, mageres, leidenschaftliches Weib mit langer Nase und violett gefleckten Wangen. Sie war in Sachen der Politik weit radikaler als ihr Gatte.
    »Der Brief Plucharts!« sagte sie. »Wenn er der Herr wäre, würde bald alles besser gehen.«
    Etienne hörte seit einer Weile zu und begriff. Er begeisterte sich für diese Gedanken des Elends und der Vergeltung. Bei diesem plötzlich hingeworfenen Namen fuhr er zusammen und sagte laut wie unwillkürlich:
    >>Ich kenne Pluchart.<<
    Man schaute ihn an; er mußte hinzufügen:
    >>Ja, ich bin Maschinist; er war in Lille mein Werkführer... Ein befähigter Mann; ich habe oft mit ihm gesprochen.<<
    Rasseneur betrachtete ihn von neuem, und in seinem Antlitz vollzog sich eine rasche Veränderung; ein Ausdruck der Teilnahme war in demselben zu lesen. Endlich sagte er seiner Frau:
    >>Maheu hat mir diesen Herrn, seinen Schlepper, gebracht und gefragt, ob es für ihn bei uns nicht eine freie Stube und einen halbmonatlichen Kredit gebe?<<
    Die Angelegenheit ward in wenigen Worten abgeschlossen. Ein Zimmer war frei, der Mieter war eben diesen Morgen fort. Aber einmal im Zuge, ließ sich der Gastwirt immer mehr gehen und wiederholte, er wolle von den Herren nur das Mögliche, ohne -- wie so viele andere -- Dinge zu fordern, die nur schwer bewilligt werden könnten. Seine Frau zuckte mit den Achseln; sie forderte unbedingt ihr Recht.
    >>Guten Abend denn<<, unterbrach Maheu dieses Gespräch. >>All dies wird nicht hindern, daß man in den Schacht einfährt, und solange man einfährt, wird es auch Leute geben, die daran zugrunde gehen... Du bist ein kräftiger Junge geworden seit den drei Jahren, daß du nicht mehr unten arbeitest.<<
    >>Ja, ich habe mich gut erholt<<, erklärte Rasseneur selbstgefällig.
    Etienne ging bis zur Tür und dankte dem Grubenarbeiter; doch dieser schüttelte nur den Kopf, ohne ein Wort mehr hinzuzufügen. Der junge Mann sah ihn mühsam den Weg zu dem Bergdorfe hinansteigen. Mit der Bedienung von Gästen beschäftigt, bat ihn Frau Rasseneur, einen Augenblick sich zu gedulden, bis sie ihn auf seine Stube geleite, wo er sich waschen könne. Sollte er dableiben? Er ward wieder von einem Schwanken ergriffen, von einem Unbehagen, das ihn die Freiheit der Heerstraßen bedauern ließ, das Hungern im schönen Sonnenschein, das er mit dem freudigen Bewußtsein ertrug, sein eigener Herr zu sein. Ihm war, als habe er Jahre hier verlebt seit seiner Ankunft bei dem Schachte, umbraust vom Sturmwind, bis zu den Stunden, die er unter der Erde, in den schwarzen Galerien auf dem Bauche herumkriechend, zugebracht hatte. Es widerstrebte ihm, dies von vorne zu beginnen; es war ungerecht und zu hart; sein Mannesstolz empörte sich bei dem Gedanken, ein Tier zu sein, das man blendet und vernichtet.
    Während Etienne so mit sich selbst kämpfte, irrten seine Augen über die endlose Ebene und fanden sich darin allmählich zurecht. Er war erstaunt; er hatte sich den Horizont nicht so vorgestellt, als der alte Bonnemort ihn, noch in Finsternis gehüllt, mit den Bewegungen seines Armes gezeigt hatte. Vor ihm lag allerdings der Voreuxschacht in einer Falte des Bodens mit seinen Holz- und Ziegelbauten, dem geteerten Sichtungswerke, dem mit Schiefer gedeckten Schachtturme, dem Maschinenraum und dem mattroten Schornstein, gedrückt und von abstoßendem Aussehen. Rings um die Gebäude dehnte die

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