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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Wäldchen sollte ihn ersetzen. Die Allee von alten Linden, ein Laubdach von dreihundert Meter Länge, zog sich vom Torgitter bis zur Auffahrt des Hauses und war eine Sehenswürdigkeit in dieser kahlen Ebene, wo man von Marchiennes bis Beaugnies nur wenige große Bäume sehen konnte.
    Die Familie Grégoire war heute um acht Uhr aufgestanden. Sie waren Langschläfer und erhoben sich gewöhnlich erst eine Stunde später aus den Betten; allein der Sturm, der in der Nacht gewütet, hatte sie herausgebracht. Während Herr Grégoire sogleich in den Garten ging, um zu sehen, ob der Sturmwind daselbst keinen Schaden angerichtet, begab sich die Frau des Hauses im Morgenkleide von weißem Flanell und in Pantoffeln nach der Küche. Sie war kurz und dick, und obgleich schon achtundfünfzig Jahre alt, hatte ihr dickes Gesicht unter dem schimmernden Weiß ihrer Haare einen kindlichtreuherzigen Ausdruck bewahrt.
    »Melanie,« sagte sie der Köchin, »der Teig ist fertig; Sie können den Kuchen jetzt backen. Das Fräulein steht nicht vor einer halben Stunde auf und ißt zu ihrer Schokolade davon... Das wäre eine Überraschung, wie?«
    Die Köchin, ein altes, mageres Weib, das seit dreißig Jahren im Hause diente, erwiderte lachend:
    »Das ist wahr, es wäre eine schöne Überraschung... Mein Herdfeuer brennt, die Bratröhre ist schon warm. Honorine wird mir übrigens behilflich sein.«
    Honorine, ein Mädchen von zwanzig Jahren, von der Familie als verlassenes Kind aufgenommen und erzogen, diente jetzt als Stubenmädchen. Außer diesen beiden Mägden hatte man im Hause noch einen Kutscher Namens Franz, der die groben Arbeiten zu besorgen hatte. Ein Gärtner und eine Gärtnerin hatten sich mit dem Obstgarten, dem Gemüsegarten und dem Hühnerhof zu beschäftigen. Der Dienst im Hause war ein patriarchalischer, vertraulicher; alle lebten in guter Freundschaft miteinander.
    Frau Gregoire, die noch in ihrem Bette die Überraschung mit dem Kuchen ausgesonnen hatte, blieb in der Küche, um zu sehen, wie der Kuchen in den Ofen kam. Die Küche war riesig groß, und man merkte, daß sie eine bedeutsame Rolle im Hause spiele, an der außerordentlichen Reinlichkeit, die da herrschte, an der Menge Schüsseln, Geräte und Töpfe, die sie füllten. Es roch nach gesunder, guter Kost. Die Gesimse und Schränke waren voll Vorräte jeder Art.
    »Lassen Sie ihn schön goldgelb werden«, empfahl Frau Grégoire ihrer Köchin und begab sich dann in den Speisesaal.
    Trotz der Warmluftheizung, die das ganze Haus erwärmte, brannte in diesem Saale ein lustiges Kohlenfeuer. Übrigens fehlte jeglicher Luxus: ein großer Tisch, die nötigen Sessel und ein Eßschrank von Mahagoni; bloß zwei, tiefe Lehnsessel verrieten die Lust an Behaglichkeit, die langen Stunden zufriedener Verdauung. Man ging niemals in den Salon; man blieb im Familienkreise.
    Eben kam Herr Grégoire. mit einer dicken Barchentjacke bekleidet, ins Haus zurück. Auch er sah rosig aus für seine sechzig Jahre, mit seinem schneeweißen Haar und seinen gütigen, rechtschaffenen[*t typo?] Zügen. Er hatte den Gärtner und den Kutscher gesprochen; es war keinerlei namhafter Schaden geschehen, bloß ein Schornstein war vom Dache gestürzt. Es war ihm eine liebe Gewohnheit, jeden Morgen sich ein wenig in seiner Wirtschaft Piolaine umzutun, die nicht groß genug war, um ihn Sorgen zu verursachen, und an deren Besitz er seine volle Freude hatte.
    »Steht denn Cäcilie heute nicht auf?« fragte er.
    »Ich begreife es nicht«, antwortete seine Frau. »Mich dünkt, ich hörte sie schon sich bewegen.«
    Der Frühstückstisch war gedeckt; drei Tassen standen auf der weißen Tischdecke. Man schickte Honorine hinauf, daß sie nach dem Fräulein schaue. Doch sie kam sogleich wieder herunter, unterdrückte ihr Lachen und dämpfte ihre Stimme, als habe sie oben in dem Zimmer des Fräuleins gesprochen.
    »Ach, gnädiger Herr und gnädige Fraul... Wenn Sie das Fräulein sehen würden!... Sie schläft!... Sie schläft wie ein Jesuskind!... Man hat keine Vorstellung davon... Es ist ein Vergnügen, sie zu sehen...«
    Der Vater und die Mutter tauschten gerührte Blicke aus.
    »Wollen wir schauen?« fragte er.
    »Das liebe Kind!« murmelte sie. »Ich gehe schon.«
    Sie gingen zusammen hinauf. Dieses Zimmer war das einzige im Hause, das mit einigem Luxus eingerichtet war, mit blauer Seide überzogen, mit weißen Lackmöbeln ausgestattet. Die Eltern hatten dieser Laune ihres verhätschelten Kindes nachgegeben. In der

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