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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Anlage sich aus, und er hätte sie sich nicht so geräumig gedacht, einem See von Tinte gleich wegen der wellenförmig ansteigenden Massen der Kohlenvorräte, mit hohen Gerüsten, über welche die Schienen liefen, und mit dem Holzvorrat, der einen ganzen Winkel des Raumes einnahm, als habe man einen gefällten Wald dort abgelagert. Zur Rechten schnitt der Berg den Ausblick ab, kolossal wie eine Riesenbarrikade, auf dem alten, nicht mehr bebauten Teile schon mit Gras bedeckt, am andern Ende durch ein inneres Feuer verzehrt, das seit einem Jahre mit dichtem Rauche brannte und an der Oberfläche mitten in dem matten Grau des Schiefers und der Steine lange, rote, rostige Streifen zurückließ. Darüber hinaus zogen die Felder sich hin, endlose Getreide- und Gemüsefelder, zu dieser Jahreszeit ganz kahl; Sümpfe mit spärlichem Pflanzenwuchs, durchschnitten von einigen zwerghaften Weiden; ferne Wiesen, durch vereinzelte Pappelreihen voneinander gesondert. Kleine, weiße Flecke in großer Entfernung zeigten die Lage von Städten an; im Norden Marchiennes, im Süden Montsou; im Osten schloß der Wald von Vandame mit der violetten Linie seiner kahlen Bäume den Horizont ab. Unter dem fahlen Himmel schien es in dem trüben Lichte dieses Winternachmittages, als habe alles Schwarz des Voreuxschachtes, all der fliegende Kohlenstaub sich auf der Ebene gelagert und die Bäume, die Straßen, den Erdboden überzogen.
    Etienne schaute hinaus. Am meisten überraschte ihn ein Kanal, der kanalisierte Scarpefluß, den er in der Nacht gar nicht gesehen hatte. Dieser Kanal lief in gerader Linie vom Voreuxschachte nach Marchiennes wie ein zwei Meilen langes Band von mattsilberner Farbe, eine Wasserstraße, die von großen Bäumen eingesäumt war, hoch über dem Tieflande dahinfloß und sich in der Endlosigkeit verlor mit ihren grünen Böschungen und ihrem matt schillernden Wasser, in dem die rot gestrichenen Boote dahinglitten. In der Nähe der Kohlengrube befand sich ein Landungsplatz mit verankerten Lastschiffen, welche die auf die Brückenstege geschobenen Karren unmittelbar füllten. Weiterhin machte der Kanal eine Biegung und durchschnitt quer die Sümpfe. Die ganze Seele der flachen Ebene schien in diesem in geometrisch genauen Linien dahinfließenden Wasser zu liegen, das sie wie eine Heerstraße durchzog, auf der Kohle und Eisen verfrachtet wurden.
    Die Blicke Etiennes wandten sich von dem Kanal dem Arbeiterdorfe zu, das auf der Hochebene erbaut war, und von dem er nur die roten Ziegeldächer sah. Dann wandten sie sich wieder dem Voreuxschachte zu und blieben am Fuße des lehmigen Abhanges an zwei riesigen Haufen von Ziegeln haften, die an Ort und Stelle geformt und gebrannt wurden. Eine Abzweigung der gesellschaftlichen Eisenbahn verlief hinter einer Verplankung und diente den Zwecken der Kohlengrube. Die letzten Grubenarbeiter wurden hinabgelassen; ein einziger, von Männern geschobener Waggon rollte mit lautem Kreischen über die Schienen. Zerstoben war die Unsicherheit der nächtlichen Finsternis, das unerklärliche Rollen, das Aufflammen unbekannter Gestirne. Die Hochöfen und Koksöfen in der Ferne waren mit der Morgendämmerung erblichen. Nur die Dampfausströmung der Pumpe arbeitete fort mit ihrem lauten, langen Atemzug, dem Atem eines Ungeheuers, dessen grauen Dunst er jetzt zu unterscheiden vermochte, und das durch nichts gesättigt werden konnte.
    Da entschied sich Etienne mit einem Schlage. Vielleicht hatte er die hellen Augen Katharinas da oben am Eingang des Arbeiterdorfes wiederzusehen geglaubt. Vielleicht war es nur ein Zug des Aufruhrs, der ihm vom Voreuxschachte zugeweht kam. Er wußte es nicht. Er wollte wieder in die Grube hinab, um zu leiden und zu kämpfen; in heftiger Aufwallung gedachte er der Leute, von denen Bonnemort gesprochen, des gesättigt dahockenden Gottes, dem zehntausend Hungernde ihr Fleisch gaben, ohne ihn zu kennen.
     

Teil 2

Erstes Kapitel
    Die Piolaine, die Besitzung der Familie Grégoire, lag zwei Kilometer von Montsou nach Osten an der nach Joiselle führenden Straße. Es war ein stilloses, großes, viereckiges Haus, zu Beginn des vorigen Jahrhunderts erbaut. Von dem weiten Bodensitz, der ehemals dazu gehört hatte, waren im ganzen dreißig Hektar verblieben, die mit einer Mauer umfriedet und daher leicht zu bewirtschaften waren. Der Obstgarten und der Gemüsegarten waren besonders berühmt, weil sie die schönsten Früchte und Gemüse der ganzen Gegend lieferten. Es fehlte der Park; ein

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