Germinal
verschwimmenden Weiße des Bettes, in dem Zwielichte, das durch den Spalt des Vorhanges auf das Lager fiel, schlief das Mädchen, eine Wange auf den nackten Arm gelehnt. Sie war nicht schön, zu frisch, zu gesund, reif mit achtzehn Jahren; aber sie hatte ein herrliches Fleisch, weiß wie Milch, kastanienbraunes Haar, ein rundes Gesicht mit keckem Näschen, das sich schier zwischen den Wangen verlor. Die Bettdecke war herabgeglitten, und sie atmete so sanft, daß ihr Atem selbst ihren -- schon kräftig entwickelten -- Busen nicht bewegte.
»Der verdammte Wind hat sie gewiß gehindert, die Augen zu schließen«, bemerkte die Mutter leise.
Der Vater winkte ihr, daß sie schweige. Beide neigten sich vor und betrachteten mit zärtlicher Liebe diese in jungfräulicher Entblößung daliegende Tochter, die sie so lange ersehnt hatten und die sie spät bekommen hatten, als sie kaum mehr auf ein Kind zu hoffen wagten. Sie fanden sie vollkommen, nicht zu dick, nie genug genährt. Sie schlief noch immer und ahnte nicht, daß sie da seien und mit ihren Wangen sie fast berührten. Doch jetzt zog ein leichter Schatten über ihr unbewegliches Gesicht. Sie zitterten, daß sie erwachen könne, und gingen auf den Fußspitzen hinaus.
»Still!« sagte Herr Gregoire bei der Tür. »Wenn sie nicht geschlafen hat, muß man sie schlafen lassen.«
»Soviel sie will, das liebe Kind,« erwiderte die Mutter. »Wir werden warten.«
Sie gingen in den Speisesaal hinunter und ließen sich in ihre Lehnsessel nieder, während die Mägde, über den tiefen Schlaf des Fräuleins lachend, ohne Murren die Schokolade warm hielten. Er hatte eine Zeitung zur Hand genommen; sie strickte eine wollene Fußdecke. Es war sehr warm in dem Gemach; kein Laut kam aus dem stillen Hause.
Das Vermögen der Grégoire, ungefähr vierzigtausend Franken Rente, bestand ganz und gar in einer Aktie der Bergwerke von Montsou. Sie erzählten gern von seinem Ursprung, der in die Zeit der Gründung der Gesellschaft fiel.
Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts war in der ganzen Gegend von Lille bis Valenciennes eine wahre Wut nach Kohlenschürfungen ausgebrochen. Die Erfolge der Unternehmer, die später die Gesellschaft von Auzin bilden sollten, hatten alle Köpfe erhitzt. In der Gemeinde wurde das Erdreich durchwühlt; Gesellschaften wurden gegründet, die Unternehmungen wuchsen über Nacht hervor. Doch unter allen hartnäckigen Kämpfern jener Zeit hatte der Baron Desrumeaux sicherlich das Andenken des scharfsinnigsten und unermüdlichsten hinterlassen. Vierzig Jahre lang hatte er gekämpft, ohne zu ermüden, trotz unaufhörlicher Hindernisse; die ersten Schürfungen waren vergeblich; neue Gruben wurden angelegt und nach monatelanger Arbeit wieder aufgelassen; Einstürze verschütteten die Gruben, Zechen wurden ersäuft, Arbeiter gingen dabei zugrunde, hunderttausende von Franken wurden in die Erde vergraben. Dann kamen die Verdrießlichkeiten der Verwaltung, die Angst der Aktionäre, der Kampf mit den Grundeigentümern, die entschlossen waren, die königlichen Unternehmungen nicht anzuerkennen, wenn man sich weigere, vorher mit ihnen zu unterhandeln. Endlich gründete er die Gesellschaft Desrumeaux, Franquenoix & Cie., um das Unternehmen von Montsou auszubeuten. Die Gruben begannen einen mäßigen Ertrag zu liefern, als zwei benachbarte Unternehmen von Cougny, Eigentum des Grafen von Cougny, und von Joiselle, Eigentum der Gesellschaft Cornille & Jenard, die Gruben der Gesellschaft Desrumeau mit ihrer furchtbaren Konkurrenz zu erdrücken drohten. Glücklicherweise kam am 25. August 1760 ein Vertrag zwischen den drei Unternehmungen zustande und vereinigte sie zu einer einzigen. Die Gesellschaft der Gruben von Montsou war gegründet, wie sie bis auf den heutigen Tag besteht. Man hatte den ganzen Besitz nach dem damaligen Münzfuße in vierundzwanzig Sous zerlegt; jeder Sou zerfiel in zwölf Denare; das machte zweihundertachtundachtzig Denare. Da jeder gleich zehntausend Franken war, repräsentierte das Kapital eine Summe von nahezu drei Millionen. Desrumeaux, am Ende seiner Kräfte, aber dennoch Sieger, bekam bei der Teilung sechs Sous und drei Denare.
Zu jener Zeit besaß der Baron das Gut Piolaine, zu dem dreihundert Hektar Boden gehörten. Als Verwalter stand Honorius Grégoire in seinen Diensten, ein aus der Picardie stammender junger Mann. Dieser Grégoire war der Urgroßvater des Leon Grégoire, Vaters der Cäcilie. Als der Vertrag von Montsou zustande kam, hatte Honorius
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