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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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hatte sich beeilt, Stühle anzubieten, doch die Damen lehnten ab. Madame Hennebeau war der Sache schon wieder überdrüssig; es hatte ihr einen Augenblick Vergnügen gemacht, in der Langeweile ihrer Vereinsamung die Wegweiserin zu spielen; doch war sie sogleich angewidert von dem faden Geruch des Elends trotz der gesuchten Reinlichkeit der Häuschen, in die sie einzutreten wagte. Sie wiederholte übrigens nur einzelne abgerissene Redensarten, die sie selbst gehört hatte, und kümmerte sich sonst gar nicht um das Arbeitervolk, das in ihrer Nähe in schwerer Arbeit und in Elend dahinlebte.
    »Die hübschen Kinder!« murmelte die Dame, die sie in Wirklichkeit abscheulich fand mit ihren dicken Köpfen und ihrem struppigen, strohgelben Haar.
    Frau Maheu mußte das Alter der Kinder angeben; aus Höflichkeit befragte man sie auch über Estelle. Der Vater Bonnemort hatte respektvoll die Pfeife aus dem Munde genommen; nichtsdestoweniger blieb er ein Gegenstand der Unruhe, wie er dasaß, durch vierzig Jahre Grubenarbeit zugrunde gerichtet, mit steifen Beinen, morschen Gliedern, erdfahlem Gesichte. Als ein heftiger Hustenanfall ihn packte, ging er auf die Gasse speien, weil er dachte, sein schwarzer Auswurf könne die Gesellschaft ekeln.
    Alzire fand am meisten Beifall. Welche nette, kleine Hauswirtin mit ihrem Küchenlappen! Man beglückwünschte die Mutter zu diesem für sein zartes Alter so verständigen Mädchen. Niemand sprach von dem Höcker; Mitleid und Unbehagen zugleich drückten sich in den Blicken aus, die sich immer wieder nach dem armen, gebrechlichen Wesen wandten.
    »Wenn man Sie«, schloß Madame Hennebeau, »in Paris über unsere Arbeiterkolonien befragt, werden Sie antworten können... Hier ist es immer so still wie jetzt; es herrschen patriarchalische Sitten; alle sind gesund und zufrieden, wie Sie sehen. Sie sollten öfter hierherkommen, um sich in der guten Luft und in der Ruhe zu erholen.«
    »Wunderbar, wunderbar!« rief der Herr in einem schließlichen Ausbruch der Begeisterung.
    Sie traten aus dem Hause mit der entzückten Miene, mit der man eine Baracke verläßt, wo man Naturwunder gesehen. Frau Maheu, die ihnen das Geleite gab, blieb auf der Schwelle stehen und blickte ihnen nach, wie sie unter lauten Gesprächen sich langsam entfernten. Die Straßen hatten sich bevölkert; sie mußten Gruppen von Weibern durchschreiten, die das von Haus zu Haus getragene Gerücht von ihrem Besuche auf die Straße gelockt hatte.
    Die Levaque hatte vor ihrer Tür die Pierron angehalten, die neugierig herbeigelaufen war. Beide heuchelten Überraschung. Wollten diese Leute etwa bei der Maheu übernachten? Es war doch nicht so angenehm da drinnen!
    »Immer ohne Sou bei dem schönen Erwerb, den sie haben. Mein Gott, wenn man Lastern fröhnt!«
    »Ich erfahre soeben, daß sie heute vormittag bei den Spießbürgern in der Piolaine gebettelt hat; und Maigrat, der ihnen kein Brot mehr pumpen wollte, hat ihr doch wieder eines gegeben ... Man weiß ja, wie Maigrat sich bezahlt macht.«
    »Bei ihr nicht, o nein! ... Dazu würde viel Mut gehören! Bei Katharina macht er sich bezahlt.«
    »Und da hatte die Maheu noch die Stirne, mir zu sagen, daß sie Katharina erwürgen werde, wenn sie es tue! ... Als ob der lange Chaval sie nicht schon längst auf dem Schuppen umgeworfen hätte.«
    »Still! da kommen die Leute.«
    Mit ruhiger Miene, ohne aufdringliche Neugierde betrachteten die Levaque und die Pierron die aus dem Hause der Maheu kommenden Fremden. Dann winkten sie die Maheu heran, die noch immer Estelle auf den Armen trug. Alle drei blickten unbeweglich nach, wie die wohlgekleideten Rücken der Madame Hennebeau und ihrer Gäste sich entfernten. Als diese etwa dreißig Schritte weit waren, ging der Klatsch mit erneuerter Heftigkeit los.
    »Die haben aber für schweres Geld Stoffe am Leibe; ihre Kleider sind vielleicht mehr wert als sie selbst.«
    »Gewiß! ... Die andere kenne ich nicht; aber für diese da würde ich nicht vier Sous geben, so dick sie auch ist. Man erzählt sich Geschichten...«
    »Wie? Was für Geschichten?«
    »Nun, sie hält sich Männer!... Vor allem den Ingenieur...«
    »Den kleinen Magern!... Aber der verliert sich ja in ihrem Bett.«
    »Was tut's, wenn es ihr Vergnügen macht?... Ich habe kein Vertrauen mehr, wenn ich eine Dame sehe, die immer ihre angewiderten Mienen macht, und der es nirgends zu gefallen scheint... Schau nur, wie sie mit dem Hintern wackelt, als wolle sie sagen, daß sie uns alle

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