Germinal
Zacharias' Mutter wollte so lange wie möglich den Lohn ihres Sohnes in die Hand bekommen, und auch Frau Levaque wütete bei dem Gedanken, den Erwerb ihrer Tochter zu verlieren. Man hatte keine Eile; Philomenens Mutter hatte sich sogar dazu verstanden, Achilles zu behalten, solange dieser allein da war; doch als der Knabe größer wurde und Brot aß, und als ein zweites hinzukam, fand sie ihre Rechnung nicht mehr und drängte wütend auf die Hochzeit, weil sie nicht vom eigenen zulegen wollte.
»Zacharias hat seine Militärpflicht hinter sich, nichts hält ihn mehr zurück. Wann wollen wir Hochzeit machen?« fragte sie weiter.
»Verschieben wir es auf bessere Tage«, antwortete die Maheu verlegen. »Diese Geschichten sind so ärgerlich! Als ob sie nicht hätten warten können, bis sie verheiratet sind. Bei meiner Ehre! Ich würde Katharina erwürgen, wenn ich erführe, daß sie die nämliche Dummheit gemacht hat.«
Die Levaque zuckte mit den Achseln.
»Laß gut sein; sie ist nicht besser als die anderen«, sagte sie.
Bouteloup ging jetzt zum Eßschrank und suchte da Brot mit der Ruhe eines Menschen, der zu Hause ist. Auf einer Ecke des Tisches lagen Gemüse, für Levaques Suppe bestimmt; Kartoffeln und Lauch, zur Hälfte geschält, inmitten des ewigen Tratsches zehnmal zur Hand genommen und wieder weggelegt. Das Weib hatte sich eben wieder daran gemacht, doch legte sie die Arbeit gleich wieder hin, um sich ans Fenster zu stellen.
»Was ist denn das?... Schau, Frau Hennebeau mit Leuten. Jetzt treten sie bei der Pierron ein.
Wieder fielen sie über die Pierron her. Das ist immer so: wenn die Gesellschaft Besucher im Arbeiterdorfe hat, führt man sie geradewegs zu dieser Frau, weil es da rein ist. Sicherlich erzählt man ihinen nicht die Geschichten mit dem Oberaufseher. Man kann leicht rein halten, wenn man Liebhaber hat, die dreitausend Franken erwerben, Wohnung und Heizung haben, die Geschenke ungerechnet. Ach ja: Außen der Glanz, innen der Tanz. In diesem Tone schimpften sie fort, solange die Fremden im Hause der Pierron waren.
»Jetzt kommen sie heraus«, sagte endlich die Levaque. »Schau, meine Liebe, ich glaube gar, sie gehen zu dir.«
Die Maheu wurde von Angst ergriffen. Wer weiß, ob Alzire den Tisch abgewischt hat? Ihre Suppe war auch noch nicht fertig. Mit einem flüchtigen »Auf Wiedersehen!« eilte sie davon nach ihrer Behausung, ohne rechts noch links zu schauen.
Doch zu Hause war alles sauber und in Ordnung. Als Alzire sah, daß die Mutter nicht kam, hatte sie einen Küchenlappen vorgebunden und sich an die Zubereitung der Suppe gemacht. Sie hatte die letzten Lauchstummel und Sauerampfer im Garten gepflückt und war eben mit der Reinigung der Gemüse beschäftigt, während am Feuer in einem großen Kessel das Wasser für das Bad der Mannsleute warm gehalten wurde. Heinrich und Leonore waren zufällig artig und vertrieben sich die Zeit mit dem Zerreißen eines alten Kalenders. Der Vater Bonnemort rauchte still seine Pfeife.
Die Maheu hatte sich noch nicht recht verschnauft, als Madame Hennebeau an die Tür klopfte.
»Sie erlauben wohl, liebe Frau?«
Sie war groß und blond, etwas schwerfällig in der schönen Reife einer Vierzigerin; sie lächelte mit gezwungener Leutseligkeit und ließ nicht allzu sehr ihre Furcht durchblicken, ihr Kleid von bronzefarbener Seide zu beschmutzen, über dem sie einen Mantel von schwarzem Samt trug.
»Treten Sie ein, treten Sie ein«, wiederholte sie ihren Gästen. »Wir stören niemanden ... Da ist's ebenfalls hübsch sauber, nicht wahr? Und diese wackere Frau hat sieben Kinder! So sind alle unsere Familien ... Wie ich Ihnen schon erklärt habe, vermietet ihnen die Gesellschaft das Haus für sechs Franken monatlich. Eine große Wohnstube im Erdgeschoß, zwei Stuben oben, ein Keller, ein Garten.«
Der dekorierte Herr und die Dame im Pelzmantel, die am Morgen mit dem Pariser Zuge gekommen waren, rissen die Augen auf; in ihren Mienen war die Verblüffung über diese ihnen neuen, ungewohnten Dinge zu lesen.
»Ein Garten sogar!« wiederholte die Dame. »Man bekommt ordentlich Lust, da zu leben; es ist ja reizend!«
»Wir geben ihnen Kohle, mehr als sie brennen können«, fuhr Madame Hennebeau fort. »Ein Arzt erscheint wöchentlich zweimal bei ihnen; und wenn sie alt sind, bekommen sie Ruhegehalte, obgleich ihnen von ihrem Lohne nichts in Abzug gebracht wird.«
»Das ist ja eine Idylle! Ein wahres Schlaraffenland!« murmelte der Herr entzückt.
Die Maheu
Weitere Kostenlose Bücher