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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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verachtet. Ist das nett?«
    Die Spaziergänger setzten mit denselben langsamen Schritten und plaudernd ihren Weg fort, als eine Kalesche auf der Straße vor der Kirche stehen blieb. Ein Herr von ungefähr achtundvierzig Jahren mit schwarzem Leibrocke stieg aus dem Wagen; er war von tiefbrauner Hautfarbe, sein Gesicht zeigte einen strengen, vornehmen Ausdruck.
    »Das ist ihr Mann!« murmelte die Levaque mit gedämpfter Stimme, als ob er es hätte hören können; sie war von jener Furcht der Untergebenen ergriffen, welche der Direktor seinen sechstausend Arbeitern einflößte. »Der Mann hat doch wahrhaftig ein Hahnreigesicht!« fügte sie boshaft hinzu.
    Jetzt war das ganze Dorf auf der Straße. Die Neugierde der Weiber stieg immer höher; die Gruppen näherten sich einander und lösten sich in eine einzige Menge auf, während auf den Fußwegen ganze Scharen schmutziger Kinder Maulaffen feil hatten. Einen Augenblick sah man den blassen Kopf des Schulmeisters, der hinter der Hecke des Schulhauses sich auf die Fußzehen erhob, um besser zu sehen. Der Mann im Garten hielt in der Arbeit inne, stützte den Fuß auf die Schaufel und riß die Augen neugierig auf. Das murmelnde Geschwätz schwoll allmählich zu einem Geräusch von Klappern an; es war wie ein Windstoß, der durch dürres Laub fährt.
    Vor der Haustür der Levaque gab es eine besonders große Ansammlung von Leuten. Zwei Frauen waren herangekommen, dann zehn, dann zwanzig.
    Die Pierron schwieg jetzt vorsichtig; es waren zu viele Ohren da. Die Maheu, eine der Vernünftigsten, begnügte sich ebenfalls zu schauen; um Estelle stille zu machen, die erwacht war und zu heulen angefangen hatte, zog sie ganz ihre Brust hervor, die von dem nimmer versiegenden Born der Milch geschwellt lang herabhing. Als Herr Hennebeau die Damen auf den Rücksitzen des Wagens hatte Platz nehmen lassen und die Kalesche in der Richtung nach Marchiennes davonfuhr, erfolgte ein letzter Ausbruch von geschwätzigen Stimmen; alle Weiber gestikulierten und redeten einander ins Gesicht; es war eine Unruhe wie in einem in Aufruhr geratenen Ameisenhaufen.
    Doch jetzt schlug es drei Uhr. Die Erdarbeiter waren fort, Bouteloup und die anderen. Plötzlich tauchten an der Krümmung bei der Kirche die ersten Grubenarbeiter auf, die von der Grube zurückkehrten, mit schwarzem Gesicht, durchnäßter Kleidung, gekreuzten Armen und gebeugtem Rücken. Da stoben die Weiber auseinander; alle liefen erschreckt heim; sie hatten zuviel Kaffee getrunken und zuviel geschwätzt und waren dadurch in ihren häuslichen Obliegenheiten verspätet. Man vernahm jetzt von allen Seiten nur den vorwurfsvollen Ausruf:
    »Meine Suppe! Warum ist meine Suppe nicht fertig?«
     

Viertes Kapitel
    Als Maheu heimkehrte, nachdem er Etienne bei dem Gastwirte Rasseneur zurückgelassen, fand er Katharina, Zacharias und Johannes bei Tische ihre Suppe essen. Wenn die Arbeiter aus der Grube kamen, waren sie dermaßen hungrig, daß sie in den durchfeuchteten Kleidern aßen, noch ehe sie sich gewaschen hatten. Keiner wartete auf den anderen; der Tisch blieb vom Morgen bis zum Abend gedeckt; immer war einer da, der seine Portion aß je nach den Anforderungen der Arbeitseinteilung.
    Kaum eingetreten, sah Maheu die Vorräte. Er sagte nichts, aber sein besorgtes Gesicht heiterte sich auf. Der Gedanke an den leeren Speiseschrank, wo es selbst an Kaffee und Butter mangelte, hatte ihn den ganzen Vormittag gequält und war ihm in schmerzlichen Zuckungen durch den Leib gegangen, während er in der erstickenden Hitze des Schlages die Kohle bearbeitete. Wie sollte das Weib sich aus der Not helfen? Und was sollte man anfangen, wenn sie mit leeren Händen zurückkehrte? Jetzt war von allem da. Sie sollte ihm das später erzählen; einstweilen lachte er vergnügt.
    Katharina und Johannes hatten schon den Tisch verlassen und tranken ihren Kaffee stehend, während Zacharias, von der Suppe nicht vollständig gesättigt, sich ein breites Stück Brot abschnitt, das er mit Butter beschmierte. Wohl sah er den Fleischkäse auf einem Teller; doch rührte er nicht daran; er wußte, das Fleisch war für den Vater, wenn nur für einen da war. Alle schwemmten die Suppe mit einem, tüchtigen Trunk frischen Wassers hinab; gegen Ende des Halbmonats mußte man sich damit begnügen.
    »Ich habe kein Bier«, sagte die Maheu, als der Vater sich zu Tische gesetzt hatte. »Ich wollte etwas Geld übrig behalten. Wenn du willst, holt die Kleine dir ein Maß.«
    Er sah sie

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