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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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röchelte. Man machte ihm nur zum Vorwurfe, daß er keinen Spaß verstehe und sogleich beleidigt sei, wenn man ihm Püffe versetzen wolle. Im übrigen wurde er als richtiger Bergmann aufgenommen und angesehen unter der Macht der Gewohnheit, die ihn mit jedem Tage mehr zur Funktion einer Maschine herabdrückte.
    Besonders Maheu faßte eine Freundschaft für Etienne, denn er schätzte die gut besorgte Arbeit. Auch merkte er -- gleich den anderen -- daß dieser Bursche mehr gelernt habe als sie; er sah ihn lesen, schreiben, Pläne zeichnen; er hörte ihn von Dingen reden, von deren Existenz er -- Maheu -- bisher keine Ahnung gehabt. Dies nahm ihn auch nicht wunder; die Grubenarbeiter hatten weit härtere Köpfe als die Maschinisten; ihn überraschte aber der Mut dieses Kleinen, die Entschlossenheit, mit der er in die Kohle gebissen, um nicht Hungers zu sterben. Es war der erste Zufallsarbeiter, der sich so rasch in diese Verhältnisse fand. Wenn der Kohlenschlag drängte und Maheu nicht einen Häuer entfernen wollte, beauftragte er den jungen Mann mit der Verholzung, weil er der Sauberkeit und Haltbarkeit der Arbeit sicher war. Die Vorgesetzten quälten ihn immer mit dieser verwünschten Verzimmerung; er fürchtete stündlich, daß der Ingenieur Negrel, gefolgt von Dansaert, erscheinen und schreiend und polternd fordern könne, daß alles neu gemacht werde; er hatte bemerkt, daß die Verzimmerung seines jungen Schleppers die Herren besser befriedigte, trotzdem sie taten, als seien sie niemals zufrieden, und immer wieder drohten, die Gesellschaft werde eines Tages eine durchgreifende Maßregel ergreifen. So zogen sich die Dinge hin; eine dumpfe Unzufriedenheit gärte in der Grube; selbst Maheu, sonst so ruhig, ballte schließlich die Fäuste.
    Anfänglich gab es einen gewissen Gegensatz zwischen Zacharias und Etienne. Eines Abends hatten sie einander mit Maulschellen gedroht. Allein der erstere, ein wackerer Junge, dem außer seinen Vergnügungen alles »schnuppe« war, und den das freundschaftliche Anerbieten eines Schoppens rasch besänftigte, hatte sich bald der Überlegenheit des Neuangekommenen beugen müssen. Auch Levaque zeigte jetzt ein freundlicheres Gesicht, redete von Politik mit dem Schlepper, der -- wie er zugab -- Gedanken hatte. Dieser fand denn auch unter allen Männern des Werkplatzes nur mehr bei dem langen Chaval eine geheime Feindseligkeit; sie schmollten nicht miteinander, waren vielmehr Kameraden geworden; allein sie verzehrten sich gegenseitig mit den Blicken, wenn sie zusammen scherzten. Katharina hatte -- zwischen diesen beiden -- das Leben eines müden, unterwürfigen Mädchens wiederaufgenommen, das gebeugten Rückens seinen Karren schob; sie war immer sehr artig zu ihrem Gefährten, der ihr oft behilflich war; anderseits war sie dem Willen ihres Liebhabers unterworfen, dessen Liebkosungen sie sich offen gefallen ließ. Die Umgebung hatte sich mit der Sache abgefunden; die beiden wurden als ein Paar angesehen, und selbst die Familie ließ sich das Verhältnis stillschweigend gefallen, so daß Chaval die Schlepperin jeden Abend hinter den Hügel führte und dann bis zu ihrer Haustür begleitete, wo er ihr angesichts des ganzen Dorfes den Abschiedskuß gab. Etienne, der sich mit der Sache gleichfalls abgefunden zu haben glaubte, neckte sie oft mit diesen Spaziergängen und ließ dabei zum Spaß rohe Worte fallen, wie man sie in den Schlägen zwischen Burschen und Mädchen hörte. Sie antwortete ihm in dem nämlichen Tone und erzählte ihm keck, was ihr Liebhaber ihr getan hatte; nichtsdestoweniger ward sie verlegen und erbleichte, wenn die Augen des jungen Mannes den ihrigen begegneten. Beide wandten den Kopf ab und verharrten zuweilen eine Stunde in Schweigen mit einer Miene, als haßten sie einander wegen längst eingesargter Dinge, über die sie sich nicht auseinandersetzten.
    Der Frühling war gekommen. Als Etienne eines Tages aus dem Schachte kam, wehte der laue Hauch des April ihm entgegen, ein guter Geruch von junger Erde, zartem Laub, freier Luft. Seither roch, wenn er aus der Grube kam, der Frühling immer besser und wärmte ihn immer mehr nach, seinen zehn Stunden Arbeit in dem ewigen Winter der Grube, inmitten des feuchten Dunkels, das niemals ein Sommer aufheiterte. Die Tage wurden länger; im Mai fuhr er schon bei Sonnenaufgang an, wenn der Himmel das Licht des Morgenrots wie einen Goldstaub über den Voreuxschacht ausgoß und der weiße Dunst der Maschine rosenrot emporstieg. Man

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