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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sie das Band bei Maigrat kaufen solle.
    »Nein, nicht bei Maigrat; die Mutter hat es mir verboten.«
    »Laß das; man muß nicht immer erzählen, wohin man geht ... Maigrat hält die schönsten Bänder in Montsou.«
    Als Maigrat den langen Chaval und Katharina in seinen Laden eintreten sah wie zwei Verliebte, die ihr Hochzeitsgeschenk kaufen, ward er sehr rot und zeigte seine blauen Bänder mit der Wut eines Menschen, den man verhöhnt. Sobald er die jungen Leute bedient hatte, stellte er sich auf die Schwelle, um ihnen nachzuschauen, wie sie in dem Abenddunkel sich entfernten; als seine Frau kam, um eine Aufklärung zu verlangen, fiel er mit Schimpfreden über sie her und schrie, daß eines Tages die schmutzige Welt, die ihm den Staub von den Füßen lecken müßte, für Ihren Undank büßen solle.
    Der lange Chaval gab auf der Straße Katharina das Geleite. Mit hängenden Armen ging er neben ihr her, aber er stieß sie an die Hüfte und führte sie so, ohne es merken zu lassen. Plötzlich wurde sie gewahr, daß er sie genötigt hatte, die Heerstraße zu verlassen, und daß sie zusammen den schmalen Weg nach Réquillart einschlugen. Doch sie fand nicht Zeit, deshalb zu grollen: er hatte sie schon um den Leib gefaßt und betäubte sie mit einer Flut von Schmeichelworten. Sie sei doch einfältig, sich zu fürchten; wolle er ihr denn Schlimmes zufügen, der lieben Kleinen, die so fein sei wie Seide und zart zum Fressen! Er blies ihr hinter das Ohr, in den Hals, daß eine Gänsehaut sie überlief. Ihr versagte die Stimme, sie fand kein Wort. Es schien in der Tat, als ob er sie liebe. Gerade letzten Sonnabend, nachdem sie ihre Kerze ausgelöscht, hatte sie sich gefragt, was geschehen werde, wenn er sie so ergreife; dann war sie eingeschlafen und hatte geträumt, daß sie, entwaffnet durch das Vergnügen, nichts mehr dagegen eingewendet habe. Warum empfand sie heute bei demselben Gedanken ein Widerstreben, gleichsam ein Bedauern? Während er mit seinem Schnurrbart den Nacken kitzelte, so lieblich, daß sie dabei die Augen schloß, zog in dem Dunkel ihrer geschlossenen Augenlider der Schatten eines anderen Mannes vorüber, des jungen Menschen, den sie am Morgen gesehen.
    Plötzlich blickte Katharina um sich. Chaval hatte sie unter die Ruinen von Réquillart geführt, und sie schauderte zurück vor der Finsternis des eingestürzten Schuppens.
    »O nein, nein!« murmelte sie. »Laß mich los, ich bitte dich!«
    Die Furcht vor dem Manne raubte ihr die Sinne, jene Furcht, die in instinktmäßiger Abwehr die Muskeln erstarren läßt, selbst wenn die Mädchen wollen und die überwältigende Annäherung des Mannes fühlen. Ihre Jungfräulichkeit, die doch nichts mehr zu lernen hatte, war entsetzt, als drohe ihr ein Streich, eine Verwundung, deren noch unbekannten Schmerz sie fürchtete.
    »Nein, nein, ich will nicht! Ich sage dir, daß ich zu jung bin ... Später, gewiß, wenn ich reif bin ...«
    Darauf entgegnete er brummend:
    »Närrchen, dann hast du doch nichts zu fürchten ... Was liegt daran?«
    Doch er redete nichts mehr. Er hatte sie fest umschlungen und drängte sie unter den Schuppen. Sie fiel rücklings auf das alte Tauwerk hin, gab den Widerstand auf und erlag dem Manne noch vor dem Alter mit jener ererbten Unterwerfung, welche die Mädchen ihres Stammes schon im Kindesalter unter Gottes freiem Himmel sich hinwerfen ließ. Ihr angstvolles Stammeln erlosch; man hörte nichts mehr als das heiße Keuchen des Mannes.
    Etienne hatte gelauscht, ohne sich zu rühren. Wieder eine, die zu Falle kam! Und nun, da er die Komödie gesehen, erhob er sich, erfüllt von Mißbehagen, Eifersucht und Zorn. Er tat sich keinen Zwang mehr an und schritt über die Balken hinweg; denn diese beiden waren jetzt zu sehr beschäftigt, um sich stören zu lassen. Er war denn auch sehr überrascht, als er nach etwa hundert Schritten auf der Straße sich umwandte und sah, daß sie schon auf den Beinen waren und, gleich ihm, den Weg nach dem Dorfe einzuschlagen schienen. Der Mann hatte das Mädchen wieder um den Leib gefaßt, drückte sie mit dankbarer Miene an sich und redete eifrig zu ihr; sie aber schien Eile zu haben und wollte rasch heimkehren, hauptsächlich wegen der Verspätung verdrossen scheinend.
    Da wurde Etienne von dem Verlangen gequält, ihre Gesichter zu sehen. Es war albern, und er beschleunigte seine Schritte, um der Versuchung nicht nachzugeben. Doch seine Füße verlangsamten ihre Schritte von selbst; bei der ersten Laterne

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